Die Kunsthalle Bremen feiert, denn der Kunstverein, der das Museum bis heute trägt, besteht seit 200 Jahren. Eine spektakuläre Ausstellung erzählt, wie die Hansestadt zum Vorposten des Impressionismus wurde
Von
04.10.2023
/
Erschienen in
WELTKUNST Nr. 218
Hanseaten schauen aufs Geschäft, darunter leidet ihr Kunstsinn. Zu diesem Schluss musste Paul Cassirer kommen, als er in Hamburg 1901 mit einer Galerie-Dependance krachend scheiterte. Der Kunsthändler aus Berlin stellte, um die französischen Impressionisten und die Moderne überhaupt durchzusetzen, Degas neben Liebermann aus. „Die Börsianer kamen, liefen mit trockenem Lachen durch die Säle und lobten sich ihren Louis Bock“, bilanzierte ein Zeitzeuge. Der Kunstsalon Bock & Söhne annoncierte für die Ausstattung von Stadtvillen und Landhäusern eine „ständige Kollektion zu herabgesetzten Preisen“, und versprach den Kunden, einen „Meister“ zu finden, „der vortrefflich die Rahmen architektonisch und koloristisch anzupassen weiß, sein Lieblingsthema ist das Weib als Ausdruck höchster dekorativer Entfaltung der Natur“.
Mit ähnlich kolossalen Deckengemälden und Wandfriesen hatte sich in der Nachbarstadt Bremen Arthur Fitger als einflussreicher Malerfürst etabliert. Seine Allegorien schmückten Rathaushallen, Festsäle und die Häuser der Honoratioren. Für Nachschub sorgte der ehrwürdige, 1823 gegründete Kunstverein mit regelmäßigen, von Historienmalern dominierten Verkaufsausstellungen. In diesem Jahr feiert der Kunstverein seinen 200. Geburtstag und mit ihm die Kunsthalle Bremen, die seit der Eröffnung ihres ersten Gebäudes 1849 von der Bürgervereinigung geführt wird. Es ist das einzige deutsche Museum mit einer bedeutenden Sammlung vom 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart, das kontinuierlich und unangefochten in privater Trägerschaft existiert. Kein Wunder, dass die Kunsthalle das Jubiläumsjahr groß begeht und zum Herbst mit einer spektakulären Ausstellung bekrönt: „Geburtstagsgäste. Monet bis van Gogh“. Darin zelebriert das Museum das bedeutendste Kapitel seiner Geschichte, die Durchsetzung der französischen Moderne. Es ist eine spannende Geschichte, die viel vom Kunstleben um 1900 nicht nur in der Hansestadt, sondern in ganz Deutschland erzählt.
Im Herbst 1908 besuchten zwei Herren aus Bremen die Galerie Cassirer in Berlin; beide hatten mit den Konventionen hanseatisch gediegener Kunstvorlieben gebrochen – und sammelten entsprechend. Leopold Biermann erwarb wenige Monate später bei Cassirer für 6.000 Mark Renoirs „Kalla und Treibhauspflanzen“. Und auch Alfred Walter Heymel entschied sich im Frühjahr 1909 für ein – deutlich kleineres, dafür mit subtilen Farben erotisierendes – Stillleben Renoirs, das mit seinem Tod 1914 als Vermächtnis an den Kunstverein ging und 1925 der Kunsthalle übereignet wurde.
Renoir, so wunderte sich damals ein Berliner Kritiker, habe „die modernisierte Rokokograzie seiner Frauenkörper und Gesichter auf Melonen und Tomaten, Birnen und Weintrauben“ übertragen. Das passte zu Heymel, einem als „Herrenreiter“ titulierten reichen Erben. In München hatte er die Zeitschrift Die Insel sowie den gleichnamigen Verlag aufgezogen, nach der Rückkehr in die Heimatstadt seines Adoptivvaters gab Heymel in Bremen den Bonvivant. „Gesellschaftlich könnten wir die allererste Violine hier spielen, meine reiterlichen Passionen, mein enges Verhältnis zur gesamten europäischen Kunst und Literatur würde mir einen gewissen Nimbus geben“, verriet er seiner Frau Gitta in einem „Lebensplan“.
Sein Landhaus mit Rennstall ließ Heymel von einem Jugendfreund einrichten, dem Schriftsteller, Maler und Möbelgestalter Rudolf Alexander Schröder. Dessen Entwürfe vereinten Elemente aus Biedermeier, Jugendstil und der beginnenden Moderne – und wurden auch vom Sammlerfreund Biermann geschätzt. Der Sohn eines vermögenden Zigarrenfabrikanten hatte an der Düsseldorfer Akademie studiert und setzte das väterliche Erbe als Kunstmäzen ein. Mit Biermanns Unterstützung brachte der Kunstverein 50.000 Mark zusammen, um 1906 Monets „Camille“ zu erwerben. Vor dem monumentalen Porträt der Lebensgefährtin des Malers meint man das sanfte Rascheln des grünen Stoffs zu hören. Im Pariser Salon von 1866, bei der Premiere von „Camille“, schwärmte Émile Zola: „Sehen Sie nur das Kleid. Es ist geschmeidig und fest. Es fällt weich, es lebt, es sagt laut, wer diese Frau ist.“
Den Künstlern im nahe gelegenen Worpswede waren solche Szenen vertraut, so berichtete Paula Modersohn-Becker über ein ausgelassenes Fest: „Heymel hatte eine Idee vom Tanz, dachte sich Ringelreihen aus, dass ich nie genug hatte. Dazu das weibliche Gefühl, dass mein neues grünes Sammetkleid mir gut stand, und dass sich einige an mir freuten.“ Dieser Erfahrung, diesem Seh-Erlebnis konnten sich in der Kunsthalle nun auch die Bremer Bürger aussetzen. Für die Gesellschaft der Hansestadt signalisieren die Gemälde-Ankäufe der französischen Impressionisten eine kulturelle Wende, verantwortet und vorangetrieben von einem Mann aus ihrer Mitte: Gustav Pauli.