Interview mit Ina Brandes

„Wir wollen nicht warten, bis irgendein Gebäude fertig ist“

Ina Brandes (CDU) ist seit Juni 2022 Ministerin für Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen, wo eine schwarz-grüne Koalition regiert. Wir trafen sie in Berlin zum exklusiven Interview und sprachen mit ihr über Einsparungen im Kulturhaushalt, die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern, das geplante Deutsche Fotoinstitut und kulturelle Teilhabe als Kernfrage von Demokratie

Von Simone Sondermann
20.02.2025

Frau Ministerin, Ihr Ministerium umfasst sowohl Wissenschaft als auch Kultur. Wie ist das Verhältnis zwischen diesen Feldern? Und welches ist schwieriger zu beackern?  

Ich versuche der Kultur und der Wissenschaft gleichermaßen gerecht zu werden. Deshalb verteilt sich die Arbeit auch in etwa 50 zu 50. Bei den Haushaltsmitteln sieht die Verteilung anders aus. Von 10,9 Milliarden Euro entfallen rund 300 Millionen Euro auf die Kultur, der Rest auf die Wissenschaft, die Universitätsmedizin und die politische Bildung. So unterschiedlich die Bereiche und Budgets sind, so ähnlich sind die Menschen, mit denen ich es zu tun habe. Das sind alles Menschen mit einer sehr hohen intrinsischen Motivation. Sie werden ja nicht durch Zufall Künstlerin oder Künstler oder Kulturmanager und auch nicht durch Zufall Wissenschaftler. Der Weg dorthin setzt Talent und Förderung ebenso voraus wie ein extrem hohes Maß an Motivation, sich in seiner Sparte oder seinem Fachgebiet mit exzellenten Leistungen zu verwirklichen. Es ist jeden Tag eine große Freude, mit diesen außergewöhnlichen Menschen zusammenzuarbeiten, weil sie gestalten, etwas bewegen wollen, weil sie für ihre Themen brennen. 

Vermissen Sie manchmal Realitätssinn bei Menschen aus der Kultur und Wissenschaft? 

(lacht) Im Gegenteil. Während man in der Politik ja permanent im Blick haben muss, was realistisch machbar ist, brauchen wir umso mehr Menschen, die ohne jede Schranke im Kopf Ideen entwickeln. Das ist im Tagesgeschäft vielleicht auch mal anstrengend, aber wir brauchen diese Energie der frischen Gedanken. 

Ein wichtiges Thema für die Museen ist Provenienzforschung, kürzlich wurde etwa ein Gemälde von Heinrich Campendonk in Krefeld restituiert und dann unter anderem mit Landesmitteln vom dortigen Museum zurückerworben. In NRW gibt es seit 2022 eine Koordinierungsstelle für Provenienzforschung, die noch von Ihrer Vorgängerin Isabel Pfeiffer-Poensgen eingerichtet wurde. Wie sieht die Bilanz nach drei Jahren aus? 

Die Koordinierungsstelle Provenienzforschung Nordrhein-Westfalen, KPF.NRW, ist eine gemeinsame Einrichtung der Landesregierung und der beiden Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe. Sie ist bundesweit einzigartig: Es gibt keine weitere koordinierende, beratende Stelle, die Expertise zu allen drei Entzugskontexten – Nationalsozialismus, DDR und Kolonialismus – hat und gleichzeitig alle Sparten sowie Privatleute und den Kunsthandel als Zielgruppe adressiert. Noch während der dreijährigen Pilotphase hat sich die Koordinationsstelle zu einer gefragten Institution auf Länder- und Bundesebene entwickelt. Auch international hat die Koordinierungsstelle viel Beachtung gefunden. Vom Angebot der KPF.NRW wird sehr rege Gebrauch gemacht. Es gab bis dato deutlich über 1000 Anfragen, eine große Zahl von Veröffentlichungen, Veranstaltungen und konkreten Beratungen. Es konnten auch zusätzliche Drittmittel für Forschung im Zusammenhang der konkreten Fälle eingeworben werden. Nach einer Evaluation haben wir entschieden, die Koordinierungsstelle angesichts dieses Erfolges dauerhaft zu finanzieren. 

Für kleinere Museen ist das Thema Provenienzforschung aufgrund der personellen Ausstattung oft eine Belastung. 

Ich nehme bei allen Museumsdirektorinnen und -direktoren ein großes Verantwortungsbewusstsein wahr, offene Restitutionsfälle zu ermitteln und zu einer guten Lösung zu kommen. Natürlich profitieren die kleinen Häuser in besonderer Weise von der Unterstützung durch die Koordinierungsstelle. 

 Ist das Gros der Fälle NS-Raubkunst?  

 Ja. 

Von Ihrer Vorgängerin haben Sie auch das Projekt Mindesthonorare für Künstlerinnen und Künstler übernommen. Wie sind die Erfahrungen seit Einführung im August 2024?

Künstlerinnen und Künstler leisten wertvolle Arbeit in unserer Gesellschaft. Deshalb müssen auch anständige Honorare und Gagen gezahlt werden. Obwohl die meisten Künstlerinnen und Künstler ein Hochschulstudium abgeschlossen haben, bewegt sich ihr Jahreseinkommen oft nahe der Armutsgrenze. Deshalb wurde in der vergangenen Legislaturperiode in das neue Kulturgesetzbuch in Nordrhein-Westfalen aufgenommen, dass Honoraruntergrenzen für Künstlerinnen und Künstler eingeführt werden sollen. Fachverbände aus der Kulturszene haben dem Land Nordrhein-Westfalen spartenspezifische Honoraruntergrenzen vorgelegt, um die im Rahmen der Kulturministerkonferenz entwickelte Honorarmatrix mit konkreten Zahlen zu füllen. Die Einführung der Honoraruntergrenzen erfolgt in Nordrhein-Westfalen in zwei Schritten: Für selbstständige, professionelle Künstlerinnen und Künstler gelten seit dem 1. August 2024 Honoraruntergrenzen in den Programmen der Kulturellen Bildung. Weil diese Programme ganz überwiegend allein vom Land finanziert werden, konnte die Einführung relativ einfach umgesetzt werden. Was wir jetzt schon gelernt haben: Bei der Administration der Programme, die in Nordrhein-Westfalen von den Bezirksregierungen übernommen wird, kommen neue Herausforderungen hinzu. So haben zum Beispiel Nachweise, dass die Honoraruntergrenzen eingehalten werden, bislang keine Rolle gespielt. Auch die Frage, wie die Honorare im Detail zu berechnen sind, ist neu. Insofern war es klug, zunächst mit den Programmen der Kulturellen Bildung zu beginnen. 

Wann folgt der nächste Schritt?

Die flächendeckende Einführung in allen Sparten folgt ab Januar 2026. Die Vorbereitungszeit ist wichtig, weil ein Großteil der Kulturangebote von den Kommunen mitfinanziert wird. Sie brauchen Zeit, sich auf die Honoraruntergrenzen vorzubereiten. So haben die Beteiligten noch mal eine komplette Haushaltsberatung, in der sie sich darauf einstellen können. Sobald das Land mit einem Cent an der Förderung beteiligt ist, gelten dann flächendeckend im ganzen Land Honoraruntergrenzen. Damit ist Nordrhein-Westfalen das erste Flächenland, das die faire Bezahlung von Kunstschaffenden so konsequent umsetzt. 

 Gab es Klagen über die Bürokratie im Zusammenhang mit den Mindesthonoraren? 

Bisher überhaupt nicht. Gleichwohl machen es die oben erwähnten neuen Fragestellungen nötig, den Prozess der Bewilligung durch die Bezirksregierungen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Das Ziel muss sein, das Verfahren so weit wie möglich zu vereinfachen. 

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