Ina Brandes (CDU) ist seit Juni 2022 Ministerin für Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen, wo eine schwarz-grüne Koalition regiert. Wir trafen sie in Berlin zum exklusiven Interview und sprachen mit ihr über Einsparungen im Kulturhaushalt, die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern, das geplante Deutsche Fotoinstitut und kulturelle Teilhabe als Kernfrage von Demokratie
ShareAls nordrhein-westfälische Ministerin bin ich stolz auf unsere lebendige und reiche Fotoszene – ganz besonders in Essen, Düsseldorf und Köln. Die Freude ist also groß, dass das Institut nach Nordrhein-Westfalen kommt. Die Mitglieder der Gründungskommission sind im engen Austausch mit der Fotoszene, mit Verbänden, Künstlerinnen und Künstlern, um die Anforderungen an das Fotoinstitut und die Bedarfe zu ermitteln. Die Gründungskommission ist nun dabei, ihre Empfehlungen auszuarbeiten. Die Standortfrage spielt dabei keine Rolle. Wir haben zudem ganz bewusst entschieden, dass Prof. Peter Gorschlüter, der Chef des Museum Folkwang und einer der Protagonisten der wichtigen Essener Fotoszene, dabei ist, um von vornherein sicherzustellen, dass dieses Netzwerk funktioniert und landesweit zusammengearbeitet wird.
Die Gründungskommission wird im zweiten Quartal ihren Bericht mit Empfehlungen vorlegen. Dann werden wir das gemeinsam mit dem Bund beraten und mit der Umsetzung beginnen. Aus meiner Sicht sehr gerne kurzfristig. Wir wollen nicht warten, bis irgendein Gebäude fertig ist. Wichtiger ist, dass wir schnell eine Gründungsdirektion berufen und ins Arbeiten kommen. Dass der Bedarf dafür da ist, steht ja völlig außer Frage.
Natürlich. Wir haben nun mal eine Kulturszene in Deutschland, die in sehr großem Umfang von öffentlichen Mitteln abhängig ist. Und das ist in vielerlei Hinsicht auch gut so. Wenn man sich die Alternativen, etwa in den USA, ansieht, wird deutlich, dass das viele private Geld auch mit dem Versuch der Einflussnahme verbunden ist. Dass wir in Deutschland einen sehr hohen Anteil an öffentlicher Kulturförderung haben, finde ich im Sinne einer unabhängigen Kulturszene richtig. Das bedeutet allerdings auch, dass in Phasen, in denen weniger Geld zur Verfügung steht, und das ist ja derzeit bei allen staatlichen Ebenen der Fall, noch intensiver um die Mittel gerungen wird. Dass in diesen Phasen alle besonders vehement für ihre Interessen kämpfen, ist völlig normal. Das ist die Grundlage von Demokratie. Umso wichtiger ist es, sich sehr gut zu überlegen, mit welchen Kürzungen möglichst wenig dauerhafter Schaden angerichtet wird und die Substanz erhalten bleibt. Wir gehen alle davon aus, dass die wirtschaftliche Delle und die damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen irgendwann wieder zu Ende sind. Zurzeit ist leider offen, wann das der Fall sein wird. Wirtschaftsminister Habeck hat ja gerade die Wachstumsprognosen wieder nach unten korrigiert.
Ich musste in meinem Ministerium mehr als 750 Millionen Euro kürzen. Der Kulturhaushalt war mit vergleichsweise moderaten 5 Millionen Euro betroffen. Es tut natürlich trotzdem weh. In der vergangenen Legislaturperiode gab es einen unglaublichen Aufwuchs im Kulturhaushalt, der sehr klug eingesetzt wurde. Das Land hat damals gezielt begonnen, die kommunalen Häuser zu unterstützen, etwa bei den Betriebskosten. Dieser Einstieg des Landes hat auf kommunaler Ebene eine echte Erleichterung gebracht. Wir haben diese Unterstützung in den vergangenen Jahren erhöht und damit einen großen Beitrag geleistet, die teils erheblichen Tarifkostensteigerungen abzufedern. Das wird in diesem Jahr nicht möglich sein, weil wir die Haushaltsmittel dafür einfach nicht haben. Aber wir haben eine Grundlage geschaffen, dass das Land Einrichtungen, für die wir eigentlich nicht zuständig sind, strukturell und dauerhaft unterstützt. Das ist in der aktuellen Situation viel wert.
Die Pandemie gehört für mich zu den prägendsten Erlebnissen für meine Arbeit. Wir haben alle feststellen müssen, dass sich das Publikumsverhalten während der Coronapandemie stark geändert hat. Eine der Erkenntnisse, die ich auf einer Delegationsreise nach New York mit Museumsdirektorinnen und -direktoren aus Nordrhein-Westfalen gewonnen habe: Es braucht mehr Daten zum Publikumsverhalten, neue Marketinginstrumente und bessere Vernetzung bei der Programmgestaltung. Unsere Gesellschaft wandelt sich und wird immer noch vielfältiger. Das muss sich auch im Kulturangebot unserer Museen, Theater, Opern, Konzert- und Balletthäuser widerspiegeln. Jedes Haus steht vor der Frage, wie es sein Angebot konzipieren kann, um Menschen anzusprechen, die noch nicht zum Stammpublikum gehören. Erfolgreich sind die Häuser, die konsequent auf eine aufsuchende Beteiligung setzen; die von sich aus auf zivilgesellschaftliche Gruppen, Verbände und Vereine zugehen und bei der Gestaltung ihrer Programme die Wünsche und Erwartungen der Menschen kennen und mitberücksichtigen. Entscheidend ist, dass sich die Häuser zuerst überlegen, welche Publikumskreise sie erschließen wollen, und dann konkrete Maßnahmen entwickeln, wie das erfolgreich sein kann. Wir haben viele Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen, die im vergangenen Jahr die höchsten Besucherzahlen aller Zeiten gehabt haben. Das haben sie erreicht, indem sie das Publikum gehalten haben, das es schon vor Corona gab. Aber es sind auch gezielt Projekte und Programme aufgelegt worden, um ein Publikum anzusprechen, das man vorher nie erreicht hat. Da gibt es Dutzende von Beispielen.
Die jüngste Ausgabe der Ruhrtriennale war ein gigantischer Besuchererfolg. Mit regional bekannten Künstlern aus dem Ruhrgebiet und internationalen Stars, die Menschen angesprochen haben, die sonst eher nicht zu Kulturveranstaltungen gehen. So gab es eine unglaubliche Diversifizierung des Publikums. Ein weiteres Beispiel ist der Kunstpalast in Düsseldorf. Direktor Felix Krämer ist weit über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus bekannt für Ausstellungen, die einen hohen Anspruch haben, aber immer ein bisschen links und rechts von dem sind, was man von einem Kunstmuseum erwarten würde. Ich denke etwa an die Superheldenausstellung oder Blumen in die Dauerausstellung. Gleichzeitig kümmern wir uns als Land auch sehr intensiv um die Frage der Zugänglichkeit. Das ist für mich ein Kernanliegen.