Ole Scheeren, der von Asien aus eine Weltkarriere machte, wird in seiner alten Heimat Karlsruhe mit einer Retrospektive gewürdigt. Ein Gespräch mit dem Stararchitekten über das Bauen in Fernost und im Westen, über Probleme der Nachhaltigkeit und die Frage, wie wir leben wollen
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18.11.2022
Sie beamen quasi das alte Bild über die Architektur ins Jetzt.
Genau das ist die Aufgabe: neue Bedeutungen in der Jetztzeit zu schaffen. Das ist ein Prozess, der sehr viel künstlerischer ist als rein architektonisch. Also da besteht eine sehr enge Verbindung zwischen der Kunst und der Architektur.
Ganz anderes Thema: Warum sind Sie vor 20 Jahren als Architekt nach China gezogen.
Der konkrete Anlass war, den CCTV-Turm für das chinesische Fernsehen in Peking zu erbauen, den ich mit Rem Koolhaas entworfen hatte. Den tieferen Grund gab es schon länger: In China stellte sich damals expliziter als anderswo die Frage nach einer Zukunft, es gab vehemente Auf- und Umbrüche in der Gesellschaft und einen ungeheuren Bauboom. Das hat mich fasziniert.
Was sollten wir uns für das westliche Bauen von Asien abschauen?
Zum Beispiel die Offenheit, Diskurse zu führen und Potenziale zu erkennen, die unser urbanes Leben neu zu definieren. Welche Qualitäten könnten wir – zum Beispiel auch in Hochhäusern – finden, damit es grandios ist, darin zu wohnen? Bei einem Hochhaus geht’s doch nicht nur darum, ein Grundstück in die Höhe zu vervielfältigen, um mehr zu verkaufen und mehr Menschen zu stapeln. Wir haben im Fernen Osten immer wieder Prototypen dafür entwickelt, was man mit hochverdichteten Wohn- und Arbeitsstrukturen leisten kann.
Seit ein paar Jahren haben Sie in Berlin ein Büro. Demnächst geht ein mittelhoher Frankfurter Turm von 80 Metern in den Umbau. Was möchten Sie der deutschen Baukunst geben?
Als internationales Büro, das Erfahrungen der unterschiedlichen Kontinente und Kulturen verbindet, fanden wir es sehr angemessen, dass beim Riverpark Tower, unserem ersten großen Projekt in Deutschland, eine Umnutzung von einem Sixties-Büroturm in ein modernes Wohngebäude ansteht. Und nicht ein Neubau wie sonst oft bei uns in China. So können wir jetzt mit einer radikalen Herangehensweise Fragen aufwerfen und, vielleicht in der Kernsubstanz oder der sehr speziellen Statik, Qualitäten herausarbeiten, die bislang unentdeckt geblieben sind. Die weitspannenden Geschossplatten erlauben etwa riesige Panoramafenster. Und dass nicht der ganze Beton abgerissen, sondern erhalten werden soll, ist ein wichtiger Umweltbeitrag.
Diskussionen über Klimawandel begleiten in Europa heute jede Baumaßnahme. Sie sind Spezialist für Hochhäuser. Was muss sich bei denen ändern?
Endlich ist diese Frage im Vordergrund! Wir schaffen mit Büro Ole Scheeren seit Langem Baustrukturen, die über die passive Intelligenz der Baukörper, die Ausrichtung zur Sonne, die genaue Kenntnis mit Mikroklimazonen et cetera arbeiten. Gleichzeitig glaube ich, dass nur Häuser, die den Menschen eine gute Lebensqualität erlauben, am Ende erfolgreich und behutsam mit Umwelt und Natur umgehen. Wenn es schrecklich ist, ein Gebäude zu benutzen, dann ist es einerlei, ob es theoretisch 15 Prozent weniger Energie verbraucht. Denn wenn es einfach nicht benutzt wird, ist das eine Riesenkatastrophe an sich. Also erst einmal müssen wir gute Gebäude schaffen, die den Menschen gerecht werden, die funktionieren. Und dann müssen diese Gebäude auf eine Art und Weise schaffen, die den Ressourcen der Umwelt und der Energiekonsumption Rechnung tragen.
Sie haben in Singapur ein Areal mit einer preisgekrönten Wohnarchitektur bebaut. „Interlace“ ist monumental, beherbergt über 1000 Apartments und ist trotzdem ein grünes Wunder aus Parks, Gärten und zig bepflanzten Dachterrassen.
Unsere Gebäude in Singapur haben die Natur völlig in die Konzeption der Architektur integriert – nicht nur als Kompensation oder als Alibi. Wir haben da nicht eine schreckliche Betonwand geschaffen, um dann nachträglich eine vertikale Grünwand dranzumachen, die am Ende Problemkompensation macht. Sondern wir haben Natur als Lebensraum geschaffen. Das Interlace ist ein gigantischer Komplex, wir haben dort 112 Prozent Grünfläche vom Bauplatz geschaffen. Natur wird multipliziert statt reduziert, in nutzbare Gärten und Terrassenzonen für die Bewohner umgesetzt. Sodass es nicht nur Natur als Bild Alibi gibt, sondern als Lebensraum. Zusammen mit der wichtigen Rolle, die die Natur im Sinne der Umwelt spielt.
Klingt schön. Aber dieser Wohntraum liegt halt auch in den Tropen. Wie schätzen Sie die Zukunft des Bauens in Deutschland ein, wo das Wetter nicht so toll ist?
Architektur bleibt natürlich etwas sehr Ortsspezifisches. Man muss genau wissen, wo man etwas baut. Man muss das Klima, die Vegetation, die Gewohnheiten, die Bauordnung, die Vorschriften kennen… alles. In dem Sinne: Deutschland ist ein sehr grünes Land. Mit der deutschen Natur kann man grandios arbeiten. Aber es gehört ein Commitment dazu. Die deutsche Architektur hat eine große Fixierung auf die technischen Aspekte. Eine Perfektionsfokussierung. Sodass manchmal sehr viele andere Qualitäten außer acht gelassen werden. Es gibt auch eine gewisse Formelhaftigkeit, wie Sachverhalte behandelt werden. Dann baut sich schnell ein großes Moralgerüst um diese Dinge herum, das dann vielleicht andere Antworten und Fragestellungen gar nicht mehr zulässt. Ich glaube, es wäre wichtig, eine andere Offenheit zu suchen, um da weiterzukommen.
Ist das westliche Bauen etwa fantasielos?
Man muss die Substanz eines Baus darauf untersuchen, was man mit ihr machen kann. Umbau wird nicht in allen Fällen der beste Weg sein. Die Frage „Muss man neu bauen?“ ist aber ganz wichtig. Natürlich sollen manchmal neue Strukturen stattfinden. Es ist aber wichtig, nicht nur den Finanzmechanismen des Real Estate Market zu folgen, der sagt: Wenn ihr diese oder jene Kiste abreißt und neu baut, dann ist einfach so viel Profit drin, dass alles andere nicht mehr interessiert. Diese einfache Formel hat das Bauen die letzten Jahrzehnte zum größten Teil bestimmt.
Wie kriegen wir die Spekulation ein Stück weit raus und mehr Verantwortlichkeit da hinein?
Man kann auch anders profitabel sein. Eigentlich muss man fragen: Was sind die Kosten? Und was ist die Wertschöpfung? Es geht um dieses Verhältnis. Wir arbeiten damit sehr sorgsam und präzise in unseren Projekten. Viele meiner Gebäude funktionieren auf vielen Ebenen gleichzeitig. Es sind auch Finanzmodelle, die zeigen: Wenn wir hier extra Raum schaffen für die Bewohner oder für die Stadt, wenn wir hier etwas zurückgeben, dann können wir daraus Wertigkeiten schaffen, die die erhöhten Baukosten mehr als rechtfertigen. Und nur genau über so ein Verständnis kann man Architektur aus solchen Regelwerken herausbringen. Wir haben Architekturen entwickelt, die haben eine neue Architektur des Lebensraums über die Schaffung ökonomischer, auch kommerzieller Werte ermöglicht. Am Ende müssen wir solche Gesamtwerke schaffen. Die Architektur ist ein Werk aus der Kunst der Technik, aber auch der Ökonomie. Am Ende können wir diese Dinge nur erfolgreich tun, wenn wir sie vereinen.