Ole Scheeren

„Architektur ist ein Bühnenbild für das Leben“

Ole Scheeren, der von Asien aus eine Weltkarriere machte, wird in seiner alten Heimat Karlsruhe mit einer Retrospektive gewürdigt. Ein Gespräch mit dem Stararchitekten über das Bauen in Fernost und im Westen, über Probleme der Nachhaltigkeit und die Frage, wie wir leben wollen

Von Alexander Hosch
18.11.2022

Wir in Deutschland bilden uns ein, bei Nachhaltigkeit top zu sein. Aber stimmt das überhaupt? Was können wir von den Ländern lernen, mit denen Sie oft arbeiten?

Deutschland hat sich sehr früh mit nachhaltigem Bauen beschäftigt. Jedoch haben sich viele dieser Ebenen in zu strikte Regularien umgesetzt, die vielleicht auch nicht immer der Architektur nur zugutekommen. Häuser mit zu kleinen Fenstern etwa. Die machen nur Sinn, wenn das Ziel ist, die Menschen in die mittelalterliche Dunkelheit zurückzuführen. Ich glaube, da muss man einfach andere Strategien entwickeln. Nochmal Beispiel Singapur: Das besteht ja fast nur aus Hochhäusern. Dort gibt’s die staatliche URA, die Urban Redevelopment Authority, die eine sehr aktive Rolle in der Entwicklung ihrer eigenen Regelwerke spielt und Projektentwickler motiviert. Die URA sagt etwa: Wenn ihr in einem Hochhaus alle soundso viele Geschosse einen Sozialraum, der kommunal zugänglich ist, baut, wenn ihr offene Zonen mit viel begrüntem Freiraum für die Bewohner bietet, dann dürft ihr diese Räume zusätzlich zur festgeschriebenen Bruttogeschossfläche umsetzen. Es werden also Anreize geschaffen, damit diese Aspekte nicht auf der Minusseite der Flächenbilanz stehen. Es kann extra gebaut und später als Qualität an die zukünftigen Bewohner mitverkauft werden. So ist es in Singapur gelungen, Veränderungen herbeiführen. In fast allen anderen Ländern besteht diese Möglichkeit nicht.

Ole Scheeren Empire City
„Empire City“ in Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam, ein spektakuläres Ensemble aus Hochhäusern und öffentlichen Räumen. © Buro-OS

Spüren Sie die vielen aktuellen Weltkrisen eigentlich bei Ihren eigenen Baustellen in China? Fehlen Materialien oder Fachkräfte, drohen Finanzlücken oder Baustopps?

Am Bau hat sich leider alles geändert, auch in China. Und nicht erst seit der Pandemie. Die makropolitischen Veränderungen erschweren Aktivitäten über die Grenzen hinaus, wie wir sie lieben. Vor zwanzig Jahren ging alles in die Öffnung, in die große Verbindung. Heute gibt es überall Einschränkungen.

Der liberale Status von Hongkong ist extrem angeknackst. Sie haben dort eine Professur und ein Büro. Wie geht’s denen?

Die Professur ist seit einiger Zeit auf Sabbatical, deshalb kann ich das nicht exakt beantworten. Aber wir bemerken die gesellschaftliche Unruhe bei der Arbeit im Hongkonger Office. Es gibt dort jetzt eine gewisse Introvertiertheit. Wir ziehen uns mehr auf uns zurück. Früher war in allen meinen Offices eine große Mischung von Nationalitäten präsent. Heute sind die chinesischen Büros mehr chinesisch, und die europäischen Büros vor allem europäisch. Ich bedaure das, denn Internationalität ist unser Inhalt. Aber wir halten das jetzt eben aus und arbeiten weiterhin in allen Standorten als globales kulturübergreifende Team zusammen, über Projekte hinweg, und verstehen uns nicht als unabhängige Studios. Wenn in Berlin jemand ist, der sehr gut mit Fassaden ist, arbeitet der vielleicht mit London oder Peking. Wir teilen viel, und wir machen das schon sehr lange. Covid-19 war deshalb keine große Umstellung. Ich selber bin immer noch viel unterwegs, lebe aber zur Zeit – wegen der Quarantänevorschriften – weniger als sonst in Asien. 

Ihr alter Heimatort Karlsruhe wird jetzt zum Schauplatz der größten Ausstellung, die je über Ihre Arbeit zu sehen war. Kein Zufall, vermute ich.

Das Zentrum für Kunst und Medien kenne ich seit den Ausstellungen der Achtziger, ich kannte auch den Gründer der Institution, Heinrich Klotz. Rem Koolhaas hatte damals den Wettbewerb für einen Neubau gewonnen; das wurde dann aus politischen Gründen gekillt. Es folgte der Umzug in einen – tollen – Industriebau. Vor einiger Zeit kam der Karlsruher Oberbürgermeister mit ZKM-Chef Peter Weibel zu mir: Sie würden gern eine Schau machen. Die Räumlichkeiten sind grandios. Sehr schwierig, aber interessant. Lange Zeit haben wir dran gearbeitet.

Ole Scheeren Fifteen Fifteen
Die luxuriöse Eigentumswohnung „Fifteen Fifteen“, die eine neue Art des urbanen Lebens in Vancouver aufzeigt. © Buro-OS, Rendering: Binyan Studios

Was steht im Zentrum – Ihre Bau-Ikonen oder die Zukunft der Architektur?

(Lacht.) Wir werden im ZKM Architektur nicht im zu klassischen Sinn zeigen, wo dann nur ein Plan an der Wand hängt, ein Modell da steht oder kleine Artefacts prozesshaft über Tische verstreut sind. Sondern wir wollen versuchen, Architektur als Erlebnisraum zu gestalten: mit großmaßstäblichen Modellen und Elementen. Dafür nutzen wir die ganze Bandbreite des ZKM.

Der Titel der Schau ist „Spaces of Life“. Er besagt, dass wir nicht nur unsere Ideen zeigen, sondern das, was in unserer Architektur dann passiert und wie die Räumlichkeiten die zwischenmenschlichen Beziehungen definieren. Für mich ist Architektur eher ein großes Bühnenbild für das Leben. Natürlich sind die Menschen die eigentlichen Akteure. Ich habe das einmal so formuliert: Wieso sagen wir immer nur „Form follows function“? Vielleicht sollten wir lieber darüber nachdenken, was „Form follows fiction“ heißt. Und ich meine mit Fiktion nicht Realitätsferne, sondern die tatsächliche Vorstellung unseres Lebens in den Gebäuden. Darum geht es: Wir wollen das spielerisch thematisieren. Wir zeigen in Karlsruhe intensiv das gebaute Werk, aber darüber hinaus auch Projekte, ältere und neueste, an denen wir untersuchen: Wie leben wir? Wie wohnen und arbeiten wir? Ich habe insgesamt 150 Projekte gemacht. Für die gibt es eine Art Timeline, da werden alle gezeigt. Und bei einigen gehen wir eben in die Tiefe, etwa mit unserem Komplex von Türmen in Vietnam, der zwar noch nicht fertig ist, aber jetzt in den Verkauf geht. In der Ausstellung steckt also auch ganz viel Zukunft drin.

Service

Ausstellung

„Ole Scheeren. Spaces of Life“,

10. Dezember bis 4. Juni 2023,

ZKM Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe

zkm.de

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