Fondation Carmignac

Porquerolles ahoi!

Auf der Insel Porquerolles an der Côte d’Azur verwirklichte ein französischer Sammler seinen Traum. Er ließ ein Museum bauen, so berauschend wie die Natur, die es umgibt

Von Tim Ackermann
11.04.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 145

Der Weg in die Schatzhöhle führt jetzt nicht nur durch den ebenerdigen Museumsshop, dessen Panoramafenster einen fantastischen Blick auf den Garten und die dahinter liegende Bucht La Courtade gewähren, sondern auch vorbei am „Alycastre“, der den Eingang der Villa bewacht. Der spanische Künstler Miquel Barceló hat die Kopffüßlerfigur aus Bronze nach dem legendären Drachen von Porquerolles benannt. Mythologische Stimmungen ereilen den Besucher auch im Inneren, wenn er – jetzt barfüßig – die Steintreppe ins schummerige Untergeschoss hinabsteigt. Denn das blaue Seil, das der Hand zunächst als Sicherung dient, entpuppt sich als trügerischer Ariadnefaden: Schon bald teilt es sich in feine und immer feinere Fäden auf, die jeweils in einem einzelnen Nagel enden. Am Schluss überzieht ein dichtes blaues Netz die Treppenwand. Geschaffen wurde die wundervolle Arbeit mit dem Titel „Ciclotrama 50 (wind)“ von der kaum bekannten brasilianischen Künstlerin Janaina Mello Landini – was auch schon auf ein Merkmal der Kollektion hinweist: „Es ist eine eklektische Sammlung“, so Charles Carmignac. „Neben wichtigen Werken von Warhol, Lichtenstein oder Richter finden sich genauso Arbeiten von weniger berühmten Künstlern, die mein Vater auf seinen Reisen in Asien und Lateinamerika entdeckt hat.“ Diese Sammlung, erläutert er, sei wie ein Orchester. „Ich habe jetzt die Aufgabe, es zum Spielen zu bringen.“

Miquel Barceló Not titled yet Fondation Carmignac
Großflächig schmückt Miquel Barcelós „Not titled yet“ von 2018 die Fondation Carmignac. © Fondation Carmignac/Adagp, Paris, 2021/Foto: Luc Boegly, David Desrimais Editeur

Charles Carmignac war lange Gitarrist bei der frankoamerikanischen Folkrock-Band Moriarty. Seit er vor fünf Jahren die Kunststiftungsdirektion übernahm, pausiert er mit der Musik. Obwohl: „Unser Kunstparcours ist ziemlich musikalisch“, erklärt er. „Ich habe eigens eine Partitur für die Ausstellung geschrieben – eine Intensitätskurve mit Höhen und Tälern.“ Bei Moriarty hätten sie das vor jedem Konzert so gemacht. „Und der Rundgang ähnelt jetzt einem Tanz um die Linie der Erdoberfläche herum.“

Den architektonischen Einfällen des Genfer Büros GMAA ist es zu verdanken, dass die unterirdische Kunstpromenade wirklich keinerlei Maulwurfsgefühle aufkommen lässt. Nach dem eher schummerigen Entree folgt hinter einer Tür gleich ein durch künstliches Licht hell erleuchteter Raum. Bei Bruce Naumans großflächiger Installation „One Hundred Fish Fountain“ (2005), die Édouard Carmignac in der Gagosian Gallery gekauft hat, prasselt Wasser aus hundert Mündern von Bronzefischen in ein Bassin und erzeugt dabei einen ohrenbetäubenden Lärm. Schlagartig aufgerüttelt, ist man danach besonders aufnahmebereit für die meditative Leere des zentralen Raums im Untergeschoss, den man als Geniestreich der Architekten bezeichnen muss: Hier wurde die Decke durch eine Glasscheibe ersetzt, die gleichzeitig den Boden für das Zierbassin auf der Villenterrasse bildet. Vom Wasser gefiltertes Tageslicht streut in die benachbarten Ausstellungskabinette.

Miquel Barceló L’Alycastre Fondation Carmignac
Miquel Barcelós „L’Alycastre“ von 2018. © Fondation Carmignac, Foto: Camille Moirenc

Die Kunst, so stimmungsvoll in Szene gesetzt, hat hohen Wiedererkennungswert wie die zwei Kommunistenporträts von Warhol (ein Lenin, ein Mao). Man bewundert ein abstraktes Werk von Gerhard Richter von 1982 und ein figurativverwischtes, „Evelyn (blau)“, aus dem Jahr 1964. Farblich kontrastiert wird Letzteres von einem zwei Jahre früher entstandenen titellosen Frauenporträt in Rot, das der französische Popkünstler Martial Raysse gemalt hat. Und das motivische Dialogprinzip setzt sich fort: Im nächsten Kabinett beäugen vier blonde Comic-Ladies von Roy Lichtenstein die Neue in ihrem Kreis: Sandro Botticellis „Madonna mit dem Granatapfel“ – eine Gemeinschaftsarbeit (um 1487) von Künstler und Werkstatt, die vor einigen Jahren bei einer Auktion im Hôtel Drouot in Paris für 500000 Euro zugeschlagen wurde. Dieser Exkurs in die Hochrenaissance überrascht. Planen die Carmignacs, noch andere Altmeister zu erwerben? „Ich glaube nicht, denn nur die Malerei Botticellis entspricht dem Esprit meines Vaters“, sagt Charles Carmignac. „Er schätzt an Botticelli, dass dieser die Kunst des Mittelalters überwunden und den weiblichen Figuren die Sinnlichkeit zurückgegeben hat. Genauso wie Lichtenstein: Seine Frauenmotive sind sehr sinnlich, obwohl er mit seinen Rastermustern Gestaltungsprinzipien der Industrie verwendet.“

Was gibt es sonst noch zu sehen? Jeweils ein Bild von John Baldessari, Marlene Dumas, Alexander Calder, Yves Klein, Willem de Kooning, Cindy Sherman, Günther Uecker. Bisweilen wirkt es, als habe hier jemand mit dem Lexikon der wichtigsten Künstler des späten 20. Jahrhunderts in der Hand gesammelt. Ober eben mit Sinn für Investment. Dieses Gefühl legt sich allmählich, sobald man durch den Garten spaziert, an Olivenbäumen und Kaktusfeigen vorbei, und die Skulpturen betrachtet, die Künstler im Dialog mit der Umgebung geschaffen haben. In einem Kiefernwäldchen stößt man auf ein Nest gigantischer Marmoreier von Nils-Udo („La couvée“). Auf einer Wiese hat Olaf Breuning sein Skulpturmonster „Mother Nature“ aufgestellt, das mit roten Stahlzähnen in Buchstabenform verkündet: „I am Mother Nature and I will eat you!“ Das ist, gerade an diesem Ort, eine Warnung vor der menschlichen Hybris. Um das Spiegellabyrinth von Jeppe Hein am Ende des Gartens habe man als Auflage Schilfrohr pflanzen müssen, damit keine Vögel gegen die spiegelnden Stehlen flögen, erzählt Charles Carmignac: „Ein Naturschutzgebiet bringt eben Zwänge mit sich. Aber als Musiker weiß ich: Erst durch Zwänge wird man richtig kreativ.“

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