Als digitale Eigentumszertifikate sind Non-Fungible Tokens, kurz NFT, gerade der große Renner am Kunstmarkt. Gehört der Kryptokunst die Zukunft?
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31.01.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 195
Als Abkürzung für den englischen Begriff Non-Fungible Token wurden die digitalen Eigentumszertifikate auf der Blockchain im März 2021 schlagartig bekannt, als das Auktionshaus Christie’s ein Kunstwerk des Künstlers Beeple für mehr als 60,25 Millionen Dollar zuschlug. Werden die NFTs den Kunstmarkt nun nachhaltig verändern? Darüber diskutierte auf Einladung der Weltkunst eine Gesprächsrunde mit Giulia Bowinkel und Friedemann Banz, die als Künstlerduo Banz & Bowinkel digitale Skulpturen und Videoloops erschaffen. Die Marktperspektive steuerte Markus Eisenbeis bei, Geschäftsführer des Kölner Auktionshauses Van Ham, das die Digitalisierung mit jährlich 40 Online-only-Auktionen vorantreibt und im Dezember erstmals in Deutschland NFTs versteigerte. Der Vierte in der Runde war Kolja Reichert, Kurator für Diskurs an der Bundeskunsthalle in Bonn und im Nebenberuf Kunstkritiker. Reichert hat im vergangenen Herbst das Buch „Krypto-Kunst“ im Wagenbach Verlag veröffentlicht.
Herr Reichert, in Ihrem Buch schreiben Sie: „Schon der Spaß am Neuen reicht hin, um zu verstehen, warum technologieaffine Menschen sich mit NFTs beschäftigen. Man kann und muss den Hype auch als soziales Spiel verstehen, als Live-Action-Role-Play, an dessen Regeln jede und jeder mitschreiben kann. Eine Buchhaltungstechnologie erwacht zum Leben.“ Das klingt paradox: Sie beschreiben eine Aufbruchsstimmung, eine neue Welt, die sich eröffnet, und gleichzeitig schreiben Sie über etwas Dröges wie Buchhaltungstechnologie. Wie kommt es zu dieser merkwürdigen Reibung?
Kolja Reichert An diesem Pol spannen sich wirklich alle Quellen des Unverständnisses, der Fragwürdigkeit und der Faszination von NFTs auf. Denn wir bekommen ständig suggeriert, es sei hier aus der Tiefe des Metaversums eine völlig neue Sorte Gegenstand in die Welt getreten. Dieser Eindruck liegt sicher auch an den Bildwelten der mit NFTs verbundenen Kryptokunstwerke, die stark aus der Ästhetik von Computerspielen schöpfen und aus den Möglichkeiten von 3-D-Programmen. Eigentlich haben wir es mit einer riesigen Verzauberung zu tun. Denn wenn man nüchtern analysiert, worum es sich bei NFTs in Wirklichkeit handelt, dann sind es tatsächlich einfach nur Einträge in eine Buchhaltungstechnologie.
Warum ist das Thema dennoch in aller Munde?
Reichert Die Buchhaltungstechnologie der Blockchain fasziniert experimentierfreudige Geister seit einem guten Jahrzehnt, weil sie eine völlig neue Art von Buchhaltung einführt. Man kann unsere Zeit gut mit Florenz in der Renaissance vergleichen. Damals hat sich parallel zur Entwicklung der Zentralperspektive die doppelte Buchführung durchgesetzt. Wir haben es nun mit einer neuen Buchhaltungstechnologie zu tun, die dezentral verwaltet und an keinem festen Ort gespeichert ist. Das hat in den letzten 13 Jahren das utopische Potenzial dieses Blockchain-Raums enorm befeuert: Plötzlich gibt es die Möglichkeit, dort unkopierbare, unverwechselbare Eigentumszertifikate einzutragen. Eine andere Frage ist allerdings: Was ist eigentlich so spannend an diesen Zertifikaten, die sich auf Arbeiten beziehen, welche sich nicht um den Code der Kunstgeschichte kümmern, sondern sich eher aus anderen Zusammenhängen wie Memes, Games und dem Internet speisen?
Herr Eisenbeis, wann sind Sie auf NFTs aufmerksam geworden? Und warum ist es jetzt spannend, diese Form von Zertifikaten zu handeln?
Markus Eisenbeis Ich muss gestehen, ich bin erst im vergangenen Jahr in das Thema eingestiegen und damit relativ spät. Natürlich waren die 69 Millionen Dollar inklusive Aufgeld für das NFT zu Beeples Werk „Everydays: The First 5000 Days“ bei Christie’s im März 2021 ein Urknall. Wenn man sich danach allerdings angesehen hat, was an NFTs auf den gängigen Plattformen im Internet angeboten wird, hat das mit Kunst nach unserem Verständnis wenig zu tun. Deswegen hatte ich das Thema erst einmal beiseitegelegt. Ich dachte, das wäre nichts, womit ich mich beschäftigen möchte.
Dennoch hat Van Ham im vergangenen Dezember als erstes Auktionshaus in Deutschland NFTs angeboten, in Verbindung mit fünf Werken des Fotografen Gavin Evans.
Eisenbeis Ja, denn im Verlauf des Jahres ist das Thema völlig eskaliert. Da denke ich als Unternehmer dann auch wieder anders: Das sind Märkte, die sich auftun. Vor allem sind es Märkte, die nicht verschwinden werden. Ein NFT ist bloß ein Zertifikat, das mit allen möglichen Dingen verbunden sein kann. Doch als Phänomen ist es jetzt faktisch und wird daher auch in der Kunstwelt seinen Platz erobern. Wir haben bei Van Ham die Digitalisierung sehr vorangetrieben und haben dann auch einen eigenen Weg gesucht, mit NFTs umzugehen. Es gibt ja zahlreiche NFT-Plattformen, die vielfach in der Gamer-Welt verankert sind. Als Auktionshaus müssen wir uns jedoch von unkuratierten Anbietern wie Open Sea unterscheiden. Daher haben wir uns entschieden, etwas zu erschaffen, das klassischen Kunstsammlerinnen und -sammlern den Zugang zur digitalen Kunst erleichtert. Und umgekehrt vielleicht auch denjenigen, die bisher in der digitalen Welt aktiv sind, die klassische Kunst zugänglich macht.
Wie würden Sie dieses neue Publikum charakterisieren, und was genau bieten Sie ihm?
Eisenbeis Wenn man hört, was Christie’s zur Versteigerung von Beeple kommuniziert, dann hat da kein klassischer Kunstsammler mitgemacht. 22 Millionen Menschen haben die Auktion verfolgt, 33 haben geboten, die Hälfte davon war unter 30 Jahre alt! Da weiß man, in diesen Preisregionen hat das nichts mit klassischen Sammlerinnen und Sammlern zu tun. Wir verfolgen bei Van Ham daher einen anderen Ansatz als Einstieg und haben hybride NFTs angeboten: Es gibt das NFT, das sich auf ein digitales Werk bezieht, das mit diesem auch fest verknüpft ist. Aber zusätzlich gibt es das Ganze eben auch noch als klassisches Werk. Bei den Fotografien von Gavin Evans bekamen die Käufer einen unikalen Print, der signiert und auf hohem Qualitätsniveau produziert ist. Und dann haben wir noch eine Uhr als NFT entworfen. Diese lässt sich jetzt die Käuferin oder der Käufer realisieren. Als Unikat. Das ist dann wirklich eine neue Dimension, wie man die reale und die virtuelle Welt zusammenführt.
Frau Bowinkel, Herr Banz, welche Vorteile haben NFTs für Sie als Kunstschaffende, und welchen Einfluss nimmt die neue Technologie auf Ihre Kunst?
Friedemann Banz Ich würde gern noch kurz auf die Beiträge meiner Vorredner antworten, aus der künstlerischen Perspektive heraus: Wir haben es jetzt bei den NFTs mit einem soziokulturellen Phänomen zu tun, bei dem eine gewisse Gesellschaftsgruppe diese Buchhaltungstechnologie für etwas benutzt hat, das durch ein Auktionsergebnis viel Aufwind bekam. Was aus unserer Sicht in der Debatte um NFTs zu kurz kommt, ist die Kenntnis um die Vorgeschichte. Wir haben als Künstlerduo vor über zehn Jahren angefangen, uns mit digitaler Kunst zu beschäftigen. Unser Kerninteresse ist der Computer als ein Medium, das unsere Gesellschaft grundlegend transformiert hat. Man kann sagen: Dadurch, dass wir bereits heute einen Großteil unserer gesellschaftlichen Aktivität im digitalen Raum betreiben, findet diese automatisch virtuell statt.