Kryptokunst

„Natürlich wird mit NFT spekuliert“

Als digitale Eigentumszertifikate sind Non-Fungible Tokens, kurz NFT, gerade der große Renner am Kunstmarkt. Gehört der Kryptokunst die Zukunft?

Von Tim Ackermann
31.01.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 195

Reichert Wir hatten neulich bei Studio Bonn in der Bundeskunsthalle Eike Schmidt zu Gast, den Direktor der Uffizien in Florenz. Er hat als erster Direktor einer großen klassischen Sammlung ein NFT herausgegeben, ein Tondo von Michelangelo. Und der spricht auch ganz offensiv vom Metaversum und dass Museen darin präsent sein müssen.

Müssen sie das wirklich?

Reichert Ich finde, sie müssen es nicht unbedingt. Ich habe auch immer noch nicht genau verstanden, wozu es das Metaversum braucht. Klar ist die Vorstellung, dass man in einer virtuellen Welt in die Uffizien geht, irgendwie schön. Jedoch nur so lange, wie dadurch tatsächlich neue Modelle der kulturellen Teilhabe entstehen, die es mehr Menschen erlauben, mitzubestimmen, was Kultur ist. Die NFTs haben es immerhin geschafft, uns in einen Aushandlungskampf zu führen zwischen der Reichweite, dem Geld und der Quote auf der einen Seite und der Spezifität und der Erkenntnis auf der anderen Seite.

NFT Kunstmarkt
Dass sich NFTs mit Klängen verbinden lassen, zeigt die in Berlin lebende Soundkünstlerin Holly Herndon – wie mit diesem Cover zum Album „Proto“ von 2019. Herndon hat eine Digitalversion ihrer Stimme ins Netz gestellt. Per NFT kann man die Musikproduktion mitbestimmen. © Holly Herndon

Wie meinen Sie das genau?

Reichert Ich meine damit, dass wir natürlich jetzt Beeple dieselbe Gründlichkeit an kunstkritischer Arbeit entgegenbringen müssen wie auch anderen Werken. Das bedeutet aber nicht, dass am Ende herauskommt, dass seine Kunst so viel wert ist wie andere. Es ist leicht zu zeigen, dass der künstlerische Code, den Beeple verwendet, einer ist, der nicht besonders gut gecodet ist. Er ist nicht effektiv, er ist sehr aufwendig, er ist total durcheinander, und er beschäftigt sich überhaupt nicht mit den Codes, die bisher in Kunstwerken niedergelegt wurden. Denn jedes Kunstwerk ist ja letztlich ein Block, der an die Kette der Jahrtausende zurückreichenden Blockchain der menschlichen Kultur angefügt wurde.

Eisenbeis Ich würde da gerne anknüpfen. Denn wir dürfen einem Trugschluss nicht erliegen: Nur weil etwas bei Christie’s verkauft wurde oder etwas sehr teuer ist, hat es nicht automatisch etwas mit Kunst zu tun. Die großen Auktionshäuser verstehen sich als Luxuskonzerne, die alles verkaufen wollen, womit viel Geld zu verdienen ist. Und das umfasst natürlich auch den Bereich der hochpreisigen Collectibles.

Diese Objekte sprechen ja traditionell ein breiteres Publikum an.

Eisenbeis Richtig! Ein Publikum, das außerdem im Moment über sehr viel Geld verfügt und das einen emotionalen Zugang hat. Denn man kauft ja nur etwas, wozu man einen Zugang hat. Sicherlich gibt es weltweit viel mehr Gamer als klassische Kunstsammlerinnen und -sammler. Und Beeple war bereits zuvor ein Superstar in der Gamer-Szene, der Sequenzen kreiert und für große Filmproduktionen gearbeitet hat. Dann ist es auch nicht verwunderlich, dass für einen Superstar super Preise gezahlt werden. Nur mit Kunst hat das alles nicht unbedingt etwas zu tun.

Reichert Wenn wir immer über Beeple und seinen Preisrekord sprechen, vergessen wir dabei, dass sein Werk nichts mehr wert ist. „Everydays: The First 5000 Days“ wurde in die Sammlung der Firma Metapurse aufgenommen, eine Sammlung von Beeple-Werken, die fraktionalisiert wurde. Es wurden also Eigentumsanteile an dieser Sammlung ausgegeben, die sogenannten B20 Tokens. Diese kosteten um den Zeitpunkt der Ausgabe 17 Dollar und sind mittlerweile unter 70 Cent wert. Wir sollten uns fragen: Was wurde damals wirklich bei Christie’s gekauft? Gekauft wurde meiner Meinung nach ein historischer Moment, in dem der ganze Blockchain-Space und die NFTs ihre Flügel öffneten und sich der Welt zeigten. Und das ist natürlich toll, diesen Moment zu besitzen. Aber die „Everydays“ von Beeple sind nichts mehr wert, denn dieser historische Moment lässt sich nicht einfach weiterverkaufen.

Kunstmarkt NFT
Giulia Bowinkel formt gemeinsam mit Friedemann Banz das Künstlerduo Banz & Bowinkel. Dies ist ihr „CryptoPortrait“. © Banz & Bowinkel/courtesy the artists

Was bringt also die Zukunft: Werden die NFTs bleiben? Werden sie unser aller Leben verändern?

Bowinkel Um die NFTs hat sich bereits eine ganze Kultur entwickelt. Und es ist sicher spannend für Künstlerinnen und Künstler, diese Kultur zu analysieren und darauf zu reagieren. Man könnte das mit dem Pop-Art-Maler Roy Lichtenstein vergleichen, der die Comic-Kultur zitiert. Unabhängig davon sind NFTs ein großartiges Hilfsmittel für Sammlerinnen und Sammler und für Kunstschaffende, das anscheinend auch gebraucht wird. Zuvor hatten wir unsere Verkäufe immer mit Zertifikaten in Papierform geregelt. Das war ein wenig umständlich. NFTs sind da natürlich eine Erleichterung. Also ja, sie werden bleiben.

Eisenbeis Das denke ich auch. Ich sehe das auch perspektivisch, dass wir für neue Generationen etwas anbieten, das sie an die Kunst heranführt, und das auf eine Art und Weise, wie man es vielleicht mit klassischer Kunst nicht machen kann. Einem Teeanger, der heute „Minecraft“ spielt, braucht man den Nutzen eines digitalen Objekts nicht groß zu erklären. Der kauft sich heute schon ohne zu zögern ein digitales Schwert, weil er damit im Spiel die nächsten drei Level schafft. Über die NFTs bieten wir diesen Generationen einen Einstieg. Es ist also eine Erweiterung unseres Marktes, es wird nichts ablösen.

Reichert Ich glaube, dass digitale Güter zunehmend das sein werden, was Kunst immer schon war, nämlich ein Einstiegsticket in bestimmte Szenen und Subkulturen. Wir erleben jetzt, dass diese Szenen ihr symbolisches Kapital in finanzielles Kapital übersetzen können. Das gab es so noch nie. Wenn allerdings jede Gruppe ihre eigene Währung entwickelt und ihre eigene Kunst hervorbringt, stellt sich die Frage, wie dann noch zwischen verschiedenen Interessen vermittelt werden kann – was also übrig bleibt von dem, was man bislang allgemeine Öffentlichkeit nannte. Aber ich glaube, was wir im Zuge der Debatte auch ganz neu entdecken werden, ist der unglaubliche Informationsreichtum der wirklichen physischen Welt, der sich nie digital simulieren lassen wird. Und damit wird auch die materialbasierte Kunst wiederentdeckt, die in ihrer Reflexion, Detailtiefe und Unverwechselbarkeit den digitalen Werken weit voraus ist.

Bowinkel Um noch ganz kurz darauf zu antworten: Sie sprechen die Komplexität der virtuellen Realität an. Zweifellos versuchen beispielsweise die Studios in Hollywood einen immer stärkeren Realismus in der virtuellen Welt zu erzeugen. Aber ich persönlich fände es sehr schade, wenn es der digitalen Kunst nur um Realismus ginge. Es ist so viel wichtiger und interessanter, den virtuellen Raum und die digitale Existenz auf eine abstrakte Art und Weise zu reflektieren und in dieser Form darüber nachzudenken. Das ist doch die Herausforderung, vor der wir als Künstlerinnen und Künstler stehen. Und wenn man die digitale Kunst genau betrachtet: Die wirklich starken Arbeiten sind eben genau die, die dieses Nachdenken auf den Punkt bringen.

Service

Links

Nicole Ruggiero,

foundation.app/@nicoleruggiero

Banz & Bowinkel,

banzbowinkel.de

Mad Dog Jones,

maddogjones.com

Holly Herndon,

hollyherndon.com

Beeple,

beeple-crap.com

Service

Ausstellung

„Banz & Bowinkel: Rise of Giants“,

bis 26. März,

Priska Pasquer, Köln,

priskapasquer.art

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