Unser Autor Sebastian C. Strenger besuchte das Multitalent Armin Mueller-Stahl mehrere Male an der Ostsee und sprach mit ihm über seine Kunst, die Erfahrung der Diktatur und ein Stück deutsch-deutscher Geschichte
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16.02.2023
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 18/22, 19/22 & 20/22
Als Schauspieler wurde Armin Mueller-Stahl, der 1930 im ostpreußischen Tilsit geboren wurde, Anfang der Fünfzigerjahre in der DDR bekannt: zunächst an Ostberliner Theatern, später auch in Film und Fernsehen. Seine Unterzeichnung eines offenen Briefs gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 beendete Mueller-Stahls ostdeutsche Karriere dann allerdings abrupt. 1980 gab das Regime seinem Wunsch nach Ausreise in den Westen statt. Dort führte ihn seine Schauspielkunst bis nach Hollywood – eine Oscar-Nominierung für „Shine“ inklusive. Mueller-Stahls künstlerisches Schaffen umfasst aber weit mehr Disziplinen: Er ist auch als Musiker und Schriftsteller tätig, vor allem aber als bildender Künstler – und somit eine Ausnahmeerscheinung in der Kunst des 21. Jahrhunderts.
Die hat begonnen, als ich drei Jahre alt war.
Die Kunst kam zu mir. Ich ging nicht zur Kunst. Meine Mutter malte. Mein Vater zeichnete. Meine Urgroßmutter war eine sehr begabte Malerin. Eine Tante war sogar Professorin für Zeichenunterricht im Baltikum. Meine Familie hat immer um die Ostsee herum gelebt. Zurückverfolgen kann man das bis zu einem Verwandten, der 1562 in Lübeck ein großes Geschäft betrieb. Und ich habe immer gezeichnet, wie die anderen. Die haben gezeichnet und ich habe mitgezeichnet.
Was mir zu schwer war mit dem Zeichenstift, das habe ich mit Fantasie versucht, zu vertuschen. Also eine Himmelsleiter verschwand in den Wolken. Und da war es, wo die Menschen hineinkrochen, und die Menschen musste ich dann nicht mehr zeichnen, die waren dann einfach verschwunden. Das Zeichnen war mir von Anfang an näher als alles andere. Als alle anderen Künste.
An den Wänden hingen Bilder. Meine Mutter hatte den „Zinsgroschen“ von Tizian kopiert. Sie hatte das ja gelernt. Und mein Vater hatte ein Kohl-Stillleben gemalt. Das hing auch da. Von meiner Tante hingen dort Lithografien. Aber es hingen dort auch andere Sachen. Aber ich habe mich für die Sachen von anderen nicht so sehr interessiert. Ich habe als Kind immer lieber selbst etwas gemacht.
Wo ich etwas nicht mehr figürlich erscheinen lasse, nutze ich diese Methode bis heute. Das ist wichtig. Mit „vertuschen“ meine ich aber den Kampf zwischen abstrakt und konkret. Kunst will auch immer ins Abstrakte marschieren – und die Suche nach einer neuen Bildform ist auch für mich immer irgendwo dabei. Es ist aber für mich immer auch der Versuch, ins Abstrakte zu kommen, weil: Das Abstrakte ist am nächsten an der Musik, ist am nächsten am Unwirklichen, Fantasievollen. Das Abstrakte ist letztlich das, was meine Seele am meisten berührt – und diese Suche nach einer Form ist bis zum heutigen Tage für mich wichtig: Wann ist ein Bild fertig?
Ich weiß es immer nicht! Manchmal wird ein Bild fertig durch die Zeit. Sie sind lange nicht im Atelier, und dann gehen sie runter und sehen plötzlich ein Bild und denken: Oh ja, das gefällt mir. Es hat ihnen nie gefallen, aber plötzlich gefällt es ihnen. Ich will damit sagen: Der Zufall spielt in der Malerei eine große Rolle! Die Kraft des Zufalls ist, wie ich finde, eine große Kraft. Ein Drehbuch war für mich zum Beispiel immer auch eine Art Tagebuch. Ich habe die Szenen, die fertig gedreht waren, vollgezeichnet oder bemalt – und daran sah ich dann: War es ein guter Tag oder war es ein schlechter Tag. Aber in Wirklichkeit habe ich damit auch begonnen, die entscheidende Frage zu stellen: Warum berühren mich Szenen, wühlen, mich auf, erregen mich? Auch die politischen Verhältnisse konnte ich so verarbeiten.
Die Seele zu entknoten. Das ist für mich ganz wichtig. Etwas zu tun, was mich befreit von den Schrecklichkeiten, die es auf der Welt gibt. Und da ist die Malerei – und auch die Musik, ich habe ja Komposition und Geige studiert – für mich das Essenzielle. Aber zur Musik brauche ich andere Leute. Viele. Während ich zur Malerei nur den Pinsel und Farben brauche, und Papier.
Da ich nur mit mir alleine beschäftigt bin, werde ich auf schnellste Weise Probleme los. Und die Bilder zeigen mir, dass diese Probleme mir sehr wichtig sind, weil sie auch politisch sind. Ich male Figuren – aber Worte kommen immer mit der Malerei mit. Die schreibe ich aufs Bild. Und bei Donald Trump habe ich geschrieben: „Dieser Mann stammt aus der Null-Serie der Menschheit. Er ist so kaputt, dass es sich nicht lohnt, ihn zu reparieren“. Und das kam einfach spontan mit dem Bild mit.
(Grinsen)
Oder das mit der SPD in der Lübeck-Ausstellung. Die Umfragewerte der Partei waren im Sinkflug und es war nur ein rotes Bild. Und dann habe ich draufgeschrieben: „Da die Welt so richtig rund noch nicht läuft und mancher Genosse sich vor Kummer besäuft und auch ich besoffen in die Kissen flenne, flehe ich zum Himmel, obwohl ich niemand dort kenne, für mich und die Genossen und andere Leute: Unser täglich Rot gib uns heute“. Das war meine Auseinandersetzung mit dem Zustand der SPD – und so ist das immer wieder. Und manchmal stehen da auch ganz unpolitische Dinge.
„Ich komme aus dem Nichts. Ich gehe in das Nichts. Hab gelernet wegen nichts. Hab gekämpfet wegen nichts. Wurd geschlagen wegen nichts. Wurd gehangen wegen nichts. Bin nun tot und wieder nichts, oder …?“ (Lachen). Es sind aber vor allem bestimmte Ereignisse, die mich bewegen. In der DDR gab es das sogenannte 11. Plenum (Anm. d. Red.: das sogenannte „Kahlschlag-Plenum“ des Zentralkomitees der SED vom Dezember 1965, das die Künstler des Landes durch Zensur und Verbote auf Parteilinie zwingen wollte). Dazu habe ich damals geschrieben: „Wörter bleiben stumm und friedlich, schon der Inhalt längst verflogen, schlagen um jedoch wie Wetter, werden bös, gemein, brutal verlogen, kommen aus dem Hinterhalt, schleimen, loben, lügen, richten, doch was sie in Wahrheit wollen, dich und deine Kunst vernichten. Worte, kreuz und quere, Worte wie Gewehre. 11. Plenum“ – und, und, und …