Interview mit Armin Mueller-Stahl

„Malerei berührt die Seele, nicht den Verstand“

Unser Autor Sebastian C. Strenger besuchte das Multitalent Armin Mueller-Stahl mehrere Male an der Ostsee und sprach mit ihm über seine Kunst, die Erfahrung der Diktatur und ein Stück deutsch-deutscher Geschichte

Von Sebastian C. Strenger
16.02.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 18/22, 19/22 & 20/22

Von der Politik zur Natur: Ist die Natur stärker als die Kunst?

Ja. Wenn ich beispielsweise den Frühling ansehe, was die Natur da an Fantasie liefert. Was die Natur an Formen, an Farben, an Möglichkeiten liefert. Das ist unbeschreiblich. Da sind die Künstler alle nur Stümper. Alle! Selbst der große Albrecht Dürer, der stolz jeden Grashalm gemalt hat – gegen die Natur ist er ein Stümper. Armselige Leute sind wir alle, die das machen. Und die Abstraktion, die legt sich gar nicht erst mit der Natur an, weil man sowieso verlieren würde. Deswegen will die Kunst per se abstrakt werden, denn wir wollen uns gar nicht mit der Natur in Konkurrenz begeben. Da ziehen wir den Kürzeren!

Sie sagten mal, wenn Sie mit dem Pinsel auf die Leinwand gemalt und Ihren Text auf die Leinwand gebracht haben, dann werden Sie ruhiger. Ist das vielleicht so ähnlich wie bei einem Schauspieler, der seine Angst verliert, wenn er merkt, dass er den Text für die Rolle beherrscht?

Sie machen da eine Brücke, die ich so nicht sehe. Als Maler setzt man das um, was das Bild erfordert. Als Schauspieler setzt man um, was die Rolle erfordert. Als Schauspieler bin ich ein guter Handwerker. Ich habe früh in „Abschied vier Uhr früh“ von Seán O’Casey gespielt, eine Riesenrolle, und er kam dazu und sagte: „Jetzt machen wir mal die Rolle ganz anders! Bitte spielen Sie, wie es bei Brecht gespielt werden würde.“ Gut; das habe ich gemacht. Dann: „Jetzt spielen Sie so wie Peter Brooke“ – ein Freund von mir, der soeben gestorben ist. So, sehr verkürzt dargestellt, lief das. Dann wieder: „Jetzt machen Sie Ihre eigene Fassung. Sie nehmen also alle Möglichkeiten zusammen. Das oberste Gebot muss sein: Sie müssen glaubwürdig sein! Glaubwürdigkeit ist in dem Beruf das A und O!“

Gibt es denn keinen anderen schauspielerischen Ansatz?

Der Manfred Krug hatte da so eine Technik. Die war deshalb großartig, weil er nicht lernen konnte oder wollte. Überall hingen Zettel zum Ablesen. Aber das war auch sehr anstrengend für Mitspieler. Es gibt viele Techniken, um etwas glaubwürdig zu machen, aber da Krug immer nur Krug war, ging es. Dafür konnte er keinen Hamlet spielen. Das würde ich von ihm nicht gerne sehen wollen. Denn die Glaubwürdigkeit muss erklärt werden. Ich kann als Schauspieler auf viele Weise – und auch auf unprofessionelle Weise – etwas glaubwürdig über die Rampe bringen. Und das ist interessant. Denn Schauspielerei ist lügen!

Armin Mueller-Stahl Studio
Stillleben im Studio des Künstlers: Aneinander gestellte Leinwände treffen auf Vorlagen für seine Porträtserie von bedeutenden Persönlichkeiten. © SCS Bildarchiv, Berlin

Wieso?

Ich bin nie die Figur, die ich spiele! Ich tue nur so, als ob ich sie wäre. Infolgedessen kann ich lügen, wie ich will. Es ist mir überlassen. In der Malerei lügen sie nicht! In der Schriftstellerei lügen sie sicherlich häufig auch. Da müssen sie vielleicht sogar lügen. Ich traue vielen Autobiografien nicht! Da siehst du dich häufig schöner als du bist. Auch die vielen Helden, die nach dem Zweiten Weltkrieg hier auftauchten … Alle waren schon immer gegen das Nazi-Regime gewesen. In der DDR das Gleiche – unter dem Motto: Ich habe schon immer gesagt … Alles Lüge! Ich hab’s in der DDR erlebt. Alles Lüge! Auch später hat sich die Mehrzahl durchs System gewurschtelt. Niemand wollte anecken. Die Leute wollten leben. Wie damals in der Nazizeit.

Aha …

Ich habe hier ein Bild von einem Künstler aufgehängt, von Richard Müller. Und dies bewusst in dem Moment, als Frau Merkel den Nolde abhängen ließ. Das hat mich nämlich wahnsinnig geärgert. Was weiß Sie denn schon darüber; wie hätte Sie sich denn verhalten? Sie war in der DDR eine friedliche Pionierin – und hat sich dort auch durchgeschummelt, auch wenn Sie sich jetzt gerne mit Wolf Biermann trifft. Obwohl Sie da schon auch ehrlich ist und einmal sagte: Ich war ja nicht Dissidentin!

Was hat es mit Richard Müller genau auf sich?

Richard Müller war Professor in Dresden und war auch jemand, der Otto Dix das Leben schwer gemacht hat – denn Müller war eben auch ein Nazi. Und da bin ich eben auch gegen eine Art der Vereinfachung, wie wir sie auch in der Bundesrepublik erlebt haben, als die DDR dazukam. Alles was in der Nähe von Stasi war: Verräter! Ist nicht so! Man muss immer sehen: Nur Weiß und Schwarz gibt es nicht in der Welt. Es gibt immer auch Grau. Und es gibt sogar gute Stasi-Leute! Die haben verhindert, dass in Leipzig auf die Menschen geschossen wurde. Die hat es gegeben. Und es gibt auch die Geschichte von Steven Spielberg, der mit „Schindlers Liste“ die Geschichte eines guten Nazis erzählt hat. Und auch Nazi-Offiziere gibt es nachweislich, die Juden versteckt haben. Es gibt eben immer die Farbe Grau! Und wenn ich also Putin spielen müsste, dann müsste ich auch an die guten Momente in seinem Leben denken. Wenn ich den Beruf ernst nehme!

Wie verhält es sich mit Kunst in einem rigiden politischen System?

Armin Mueller-Stahl Atelier
Blick von der Treppe in das grafische Atelier von Armin Mueller-Stahl. © SCS Bildarchiv, Berlin

Im Leben, wissen wir alle, wie schwer es ist, solche Systeme zu überstehen. Ich habe die Nazis überstanden, ich habe die DDR-Diktatur überstanden und ich bin in der Demokratie angekommen, die mir am liebsten ist, auch nicht in allen Punkten willkommen, aber mit Abstand am liebsten. Und die ich verteidigen möchte, damit sie uns erhalten bleibt. Und nicht geschluckt wird durch diese ganzen Autokratien, die jetzt klarmachen wollen, dass ihre Systeme besser sind. Und mit der Kunst, mit der sie allein sind, können sie sich eben am besten therapieren gegen das, was in der Welt geschieht.

Ihr Leben war von sehr unterschiedlichen Welten geprägt, hatte Höhen und Tiefen …

Ja. Und wie mutig oder nicht mutig ich da durchgegangen bin, ist schwer zu sagen. In bestimmten Situationen habe ich mich – wie die meisten – wohl einfach durchgewurschtelt. Ich weiß, wie ich mich in der DDR verhalten habe. Da war ich – allein durch meine Popularität – geschützt. Aber als ich ’ne Morddrohung bekommen habe, da ging mir schon sehr die Muffe – und vor allen Dingen meiner Frau. Später, als die Kritiker in den USA über mich dann schrieben „The new Marlon Brando“ – und nur, weil ich einen Russen gespielt und menschlich dargestellt hatte –, da war die Welt wirklich eine ganz andere geworden.

Und in der Kunst – welche verschiedenen Welten gibt es da?

Also der teuerste Maler in Deutschland, Gerhard Richter, hat mal in Dresden „Abstrakte Bilder“ aufgehängt, die den Holocaust beschreiben. Kann man das, frage ich mich? Verlangt nicht ein so gewichtiges Thema wie der Holocaust eine ganze ehrliche Auseinandersetzung? Kann ich abstrakte Bilder, die ich so oder so deuten kann, mit Holocaust untertiteln? Kann ich das? Das ist eine Frage, die ich habe – und die ich Richter auch stellen würde. Aber gleichzeitig, als die DDR-Größen Bernhard Heisig und Willi Sitte – wirkliche Könner – hier in der Bundesrepublik ausgestellt wurden, da haben Baselitz, Lüpertz und Richter ihre Bilder abgehängt. Aber Helmut Schmidt ist, als er sich porträtieren lassen wollte, nicht zu Baselitz oder Lüpertz gegangen, sondern zu Heisig nach Leipzig. Der Strich von Heisig schien ihm ehrlicher und glaubwürdiger – und Schmidt ist ein Mann, der sich mit Kunst auseinandergesetzt hat. Ich glaube, dass ihm sein Auge einfach erklärt hatte: Das will ich!

Um noch einmal auf Richter zurückgekommen: Geht es denn nicht, ein Bild zu erschaffen, in dem es einzig und allein um einen emotionalen Zustand geht?

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