Unser Autor Sebastian C. Strenger besuchte das Multitalent Armin Mueller-Stahl mehrere Male an der Ostsee und sprach mit ihm über seine Kunst, die Erfahrung der Diktatur und ein Stück deutsch-deutscher Geschichte
Von
16.02.2023
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 18/22, 19/22 & 20/22
Doch! Aber ich weiß ja, wie die „Abstrakten Bilder“ von Richter entstanden sind. Die hat er mit einer Rakel über die Leinwand runtergezogen. Aber ich frage mich eben: Lässt sich diese Haltung mit dem Gedanken an Auschwitz verbinden? Richter hat auch Porträts von seiner Verwandtschaft gemalt, die auch gelitten hat – und die berühren mich. Da kommen mir so Gedanken wieder, wie: Wo beginnt – im Nachhinein, wenn man ein Unrechtsregime überlebt hat – unsere Schummelei angesichts der Geschichte. Wo beginnen wirklich heldenhafte Taten? Wo sind wir ehrlich und wo haben wir uns ordentlich hindurchgewurschtelt? Das ist ja auch ein Thema bei Günther Grass, den ich schätze. Wir sind Nachbarn hier gewesen und er war ein Westpreuße, während ich ein Ostpreuße bin. Wieso kam erst so spät seine Beteiligung an der Waffen-SS heraus – quasi nachdem er seinen Literatur-Nobelpreis erhalten hatte? Oder hatte er das bereits vorher schon mal erwähnt? Das sind Dinge, die mich beschäftigen, zwar nicht lange, aber die ich in meinen Bildern verarbeite.
Den Ukrainekonflikt, am Tag des Ausbruchs, habe ich beispielsweise in meinem Bild mit einem großen Schiff aufgegriffen, das ein kleines zermalmt. Das war nicht so geplant. Es kam, während ich mich mit dem Krieg beschäftigte. Geplant war mal ein Bild mit Flüchtlingen, die alle ins Wasser fallen – und die wir dann nicht retten. So war es geplant. Aber gleichzeitig war es nun auch ein Bild des Untergangs. Wird da ein Land untergehen, war plötzlich meine Frage? Und dieses Thema habe ich dann stärker herausgearbeitet.
Die Flüchtlinge, die alle aus dem Boot kamen, wollte ich nicht mehr sehen. Und so habe ich blaue und gelbe Farbe verwendet – die Farben also der Ukraine –, und habe das Vorhandene emotional weggezeichnet. Es ist daraus eine große Kraft entstanden. Und da war ich mit dem Bild plötzlich zufrieden. Manche Künstler sind in ihren Bildern ja unglaublich unehrlich …
An Jeff Koons oder Damien Hirst – Leute, die ich furchtbar finde, ehrlich gesagt. Ein Totenschädel, der mit Platin bedeckt und mit Gold verdeckt ist: Solche Sachen berühren mich nicht. Tut mir leid, das ist keine Kunst, das ist Geschäft!
Im Barnsdall Art Park, gegenüber dem berühmten Hollywood-Schriftzug, gibt es das Museum von Frank Lloyd Wright, dem Architekten. Das schönste Museum der Welt! Und dort hatte ich eine große Ausstellung mit meinen Bildern zu Goethes Faust. Das hat mir so viel Mut gemacht. Ein schönes Erlebnis ist auch das: Jahre später sprach mich eine Frau auf mein Leonard-Bernstein-Bild an, das sie gesehen hatte. Bernstein hat geraucht und geraucht und geraucht. In meinem Bild verschwand er daher hinter seiner Rauchwolke. Er war einer, der mit seinem Leben spielte. Eine faszinierende Figur. Ein Jude. Und Juden waren für mich oft Weichensteller, gleichzeitig habe ich sehr viel Warmherzigkeit von ihnen erfahren.
Ach ja? Sie meinen den Gründer von ZERO? Und ist er nicht auch 91 Jahre alt? Da sehen Sie mal, diese alten Dummköpfe reden alle dasselbe (gemeinsames Lachen). Wissen Sie, wenn sie ein so langes Leben hinter sich herziehen und sich mit Kunst beschäftigt haben, konnten sie sich freuen, beispielsweise auf jemanden wie den Komponisten Arnold Schönberg getroffen zu sein. Wir sind der Familie Schönberg sehr verbunden; sie leben in Brentwood / Los Angeles gerade mal zehn Minuten von unserem Haus dort entfernt. Schönberg war ein Kopf, der nie Ruhe gab! Das klassische Schachspiel war ihm nicht genug und so hat er noch zehn weitere Figuren dazuerfunden. Er wollte in Los Angeles auch die Verkehrsrouten in ein schlüssiges System bringen, um Stau zu vermeiden. Jedenfalls hat Barbara Schönberg meine ganzen Buchübersetzungen gemacht: über Malerei, über abstrakte Malerei, über einen Autokraten, der wie ein Vogel fliegen kann. Auch mein Kindergedicht über Waffenlieferungen hat sie übersetzt, das ich geschrieben habe, als ich auf Kuba war – zur Kuba-Krise.
Es war die Zeit, als ich Che Guevara, Fidel Castro und die alle kennenlernte. Genau zur Kuba-Krise habe ich auf Kuba nämlich einen Film gedreht. Und da erwarteten wir wirklich den Atomkrieg. Die Kriegsschiffe waren damals am Horizont erkennbar. Ich saß mit Russen zusammen. Wir haben viel zu viel getrunken und da schrieb ich mein erstes Kinderlied und das für eine Dokumentation des Brasilianers Arman Corti. Und ich weiß noch, ich war betrunken und wir warteten da auf unseren Tod, glaubten wirklich, der schwarze Freitag sei unser Ende. Unser Defa-Regisseur Kurt Maetzig versuchte, uns Mut zu machen, zitterte selbst aber am ganzen Leibe. Es wird ein schneller Tod, dachten wir. Einen lyrischen Text zu dieser Situation habe ich übrigens später mal auf eines meiner Bilder geschrieben.
Na, ich hab mich damals mehr für die La Loupe im Tropicana interessiert. Sie war eine Sängerin von Gottes Gnaden und ich war im Paradies. Und da waren ja auch die Einladungen von Raúl und Fidel Castro und Che Guevara. Es war im Oktober 1961 und sie haben uns zur Playa Girón – zur Schweinebucht – eingeladen. Und Fidel stand da und sagte: Ich habe hier gestanden, als die Amerikaner eindringen wollten. Ich kenne aber auch die Version von Kennedy. Alles große Erlebnisse, die ich im Kopf manchmal noch hin und her bewege, wenn ich es mir leiste, zurückzudenken. Ein Jahr später führten wir dort „5 Patronenhülsen“ vor. Der Film hat Che Guevara sehr gefallen und er lud uns abends in eine Villa ein, die ein Zucker-Milliardär gerade in Richtung Miami verlassen hatte. Fidel hat dann dort das Abendbrot auf Papptellern gemacht. Konservenbüchsen aufgedrückt und das Essen auf die Teller gestürzt, aber zwei Swimmingpools hatten sie dort. Der eine mit Meerwasser und der andere mit Süßwasser. Raúl hatte nur Geld aber keinen Geschmack – im Gegensatz zu Che, der aus einer reichen Familie kam. Diese Zeit war für mich faszinierend. Auch wegen der Figur Che.
Che ist zu einer Legende geworden. Zu einer Pop-Ikone. Er ist in die Köpfe ganzer Generationen hineingewachsen. Das war schon ein Kunstvorgang. Das habe ich noch mal so erlebt im Fall von Mahatma Gandhi. Mit Indira Gandhi haben wir zusammen Tee getrunken. Beide wurden zu humanistischen Figuren, die in der Politik keine Chance hatten. Ebenso der Dalai Lama, mit dem ich anlässlich der Verleihung einer Goldenen Kamera einmal einen ganzen Tag verbrachte und mit dem ich auch über Kunst sprach. Humanisten haben keine Chancen. Ich habe auch mal Michail Gorbatschow in ein Bild gemalt und da habe ich drangeschrieben: Wir verdanken ihm so viel. Und wie der jetzt so niedergetreten wird. Das bewegt mich. Humanisten haben keine Chance. Werden erschossen, wie Indira Gandhi. Oder anders niedergemacht. Und ich will nur sagen, diese ganzen Dinge kommen im Leben vor und sie kommen in der Kunst vor. Letztlich war ich 1962 froh, dass wir die Kuba-Krise überleben durften und ich da mein Kinderlied gemacht hab.
Die letzte Strophe lautet: „Und kommt noch mal der große Krieg, Geld und Macht, Atom und Sieg, zieht der alte Mond zum anderen Stern, sucht sich einen neuen Herrn. Atome, Wände ziehen heran, töten Weib und Kind und Mann und was natura ist verdorben und was lebt ist gestorben. Dann zankt nicht die Frau und auch nicht der Mann, doch was fängt man dann, mit dem Frieden an?“
Ich will sagen: Es gibt Verbindungen zu den Figuren, die ich gezeichnet oder gemalt habe, deren Gesichter mich beschäftigt haben. Und es sind ja die Gesichter, die das ganze Leben eines Menschen beinhalten. Und ich will darüber hinaus auch noch das Gesicht hinter dem Gesicht aufscheinen lassen – denn das erzählt etwas über den wahren Menschen. Manchmal. Das alles will ich in meinen Bildern irgendwie festhalten. Zuletzt besuchte mich übrigens der Bundespräsident, den ich sehr lange kenne und der sich von mir malen lassen wollte.