Künstliche Intelligenz

Der Sound der Zukunft

Holly Herndon und Mat Dryhurst sind visionäre Vordenker der Beziehung von Kunst und KI. Ein Gespräch über kreative Freiheit, dezentrale Individuen und die Geburt ihres Sohnes

Von Simone Sondermann
29.01.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 223

Haben Sie eigentlich Angst vor der KI?

HH: Nein, ich betrachte das mehr mit Neugier und sehe die Möglichkeiten. Als Computermusiker habe ich in der Vergangenheit immer nach Tools gesucht, die mir erlauben würden, Dinge zu tun, die ich vorher nicht tun konnte, die ich aber schon immer tun wollte.

MD: Ich habe Angst davor, was passiert, wenn künstliche Intelligenz überall zum Einsatz kommt.

HH: Du hast Angst vor Menschen, die Zugang zur KI haben!

MD: Im Moment geschieht alles sehr schnell, das wird für viele ein großer Schock sein. Man hat jetzt all diese verrückten Tools, die dir erlauben, wilde Dinge zu tun. Es geht um Akzeptanz. Das Beste, was man machen kann, ist, sie ernst zu nehmen. Auch wenn man sie ablehnt. Es gibt viele großartige Kunstwerke, die all das komplett ablehnen. Meine Sorge gilt dieser großen Integrationsphase, in der es viele Bereiche, viele Berufe geben wird, die das hart treffen wird.

HH: Die Medienlandschaft ist eh schon nicht so gut, und sie wird noch viel schlechter werden mit der Möglichkeit, unendlich Medieninhalte durch Bots herzustellen. Es gibt jetzt überall synthetische Medien, die Artikel und Bilder kopieren, die quasi Müllkopien davon herstellen und veröffentlichen.

Für die traditionellen Medien ist künstliche Intelligenz eine Riesenherausforderung.

MD: Ja, aber die gute Nachricht ist: Wenn Leute sagen, wir brauchen keine Texter mehr, wir brauchen keine Künstlerinnen mehr, ist das Bullshit. Damit sagen sie lediglich, dass sie Schreiben und Kunst nicht verstehen. Wenn man fragt, „Ist das das Ende der Kunst? Brauchen wir die noch?“, dann ist das die falsche Frage, das ist zu einfach. Die richtige wäre: KI ist hier. Sie wird nie mehr weggehen. KI wird nur besser werden. Wie soll Kultur in Zukunft aussehen? Wie soll eine neue Kunstpraxis aussehen? Sie wird sehr anders sein als heute. Es ist gut, darüber zu reden, denn egal ob du es magst oder nicht, das wird geschehen.

WK: Um die Herausforderungen durch die künstliche Intelligenz geht es ja auch bei Ihrer Firma Spawning, die sich mit Künstlerrechten bezüglich KI beschäftigt.

MD: Ja, die erste Frage ist, welche Daten du zur Verfügung stellst. Als wir vor etwa fünf Jahren angefangen haben, eigene Netzwerke zu trainieren, haben wir gemerkt: Oh, man hat ja die Wahl! Das wird wichtig werden. Wenn du deine eigenen Trainingsdaten herstellst und die Maschine damit fütterst, sind sie in gewisser Weise deins. Sie sind dein Kunstwerk. Der Impuls kommt ja von dir. Wenn man jetzt vorspult und an die neuesten großen KI-Modelle denkt, werden sie mit abstrakt großen Mengen an Daten trainiert, mit Milliarden um Milliarden Daten, Milliarden Bildern aus dem Netz. Solche Mengen an Daten findet man nur im Internet.

HH: Am Anfang der Entwicklung standen Forschungsprojekte an Universitäten. Das Problem war, dass deren Modelle schnell gut funktionierten. Forschungsprojekte wurden zu privaten Unternehmen. Es gibt ja andere Regeln für universitäre Forschung und für Privatunternehmen, aber beides ist sehr miteinander verwoben.

MD: Wir haben uns dann mit zwei Entwicklern zusammengetan und mit vielen Leuten aus der Szene gesprochen, und uns wurde klar, dass es geradezu einen Aufruhr geben wird um die Frage, wie und mit welchen Daten diese Modelle gefüttert werden. Wir entschieden, ein Tool zu bauen, das Menschen erlaubt, zu sehen, ob sie, also ihre Bilder, Texte, Videos etc., in diesen Datensätzen sind. Und dann ein Tool zu bauen, das es Menschen erlaubt, ihr Einverständnis zu geben oder zu verweigern.

Ein NFT der Serie „Minnesang“ über digitalen Feudalismus. © Herndon Dryhurst Studio
Ein NFT der Serie „Minnesang“ über digitalen Feudalismus. © Herndon Dryhurst Studio

Ein sogenannter Opt-in-Prozess, den man auch von Newslettern oder digitalen Abos kennt.

MD: Ja, genau: Opt-in, Opt-out, so etwas gab es nicht. Spawning wurde zu diesem Zweck gegründet. Es funktioniert gut, etwa 1,5 Milliarden Nutzerdaten sind mittlerweile Opt-out. Der nächste Schritt war, dass KI-Firmen das auch einsetzen, das tun inzwischen einige, wir versuchen, noch mehr dazu zu bringen. Die Herausforderung ist: 1,5 Milliarden ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass wir das als Künstler gestartet haben. Aber gemessen an der gesamten Aufgabe ist es wenig. Es brauchte einen Consent-Layer für KI-Daten, also haben wir ihn mit unserem Team gebaut. Bei Gerichtsurteilen zu dem Thema in den USA und in Großbritannien wurde Spawning mittlerweile mehrfach in der Urteilsbegründung genannt. Es gibt nun Forschung zu Consent-Layern für KI-Daten wegen Spawning, die Arbeit ist einflussreich, ich spreche nächste Woche im EU-Parlament darüber. Die Herausforderung ist: Unser Budget ist so groß wie das Snack-Budget von Google. In einem Büro. (lacht) Unsere Rolle ist, den Weg zu bereiten und es zu bauen und dann zu hoffen, dass das weitere Kreise zieht.

Sehen Sie sich, was Ihre künstlerische Arbeit angeht, in einer Tradition? Haben Sie Vorbilder?

MD: Wir haben Helden, aber sie gehören nicht einer bestimmten Richtung an.

HH: Du magst Stan Douglas. Und Harun Farocki!

MD: Stimmt. Einer meiner Idole ist Ted Nelson, ein Softwaredesigner. Ich sehe Künstler eher außerhalb der industriellen Kategorien. Die Arbeit von Entwicklern wie Linus Torvalds, von dem das Betriebssystem Linux stammt, ist ein großes Kunstwerk. Ich bin vielleicht ein sehr frustrierter Modernist …

HH: Ein Modernist einer postmodernen Welt. (lacht)

MD: Bei den frühen Kybernetikern gab es interessante Diskurse, über Serialität und Ähnliches. Und wir haben viele Freunde aus der Post-Internet-Kunstwelt …

Das Video „I'm Here“ gehört nun zur Sammlung des Centre Pompidou. © Herndon Dryhurst Studio
Das Video „I'm Here“ gehört nun zur Sammlung des Centre Pompidou. © Herndon Dryhurst Studio

Kunst der Generation von Digital Natives, die viel und ganz selbstverständlich mit Material aus dem Netz arbeitet und vor einigen Jahren recht populär war.

MD: Bei dieser Kunst gibt es viel Ironie. Unser Ansatz ist anders, wir versuchen, ernsthaft an die Sache heranzugehen. Deshalb können wir uns nicht gut einer Schule zurechnen. Mir ist Ernsthaftigkeit sehr wichtig, ich mag es, wenn Menschen sich etwas wirklich verschreiben.

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