Interview mit Albert Oehlen

Malen, bis es kippt

Albert Oehlen ist einer der wichtigsten Maler unserer Zeit, derzeit sind seine Werke in Hamburg und Berlin zu sehen. Wir sprachen mit ihm über den malerischen Prozess, der „Dreck“ in Schönheit verwandelt

Von Lisa Zeitz
25.11.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr.234

Wir sind mit Albert Oehlen kurz vor seinem 70. Geburtstag in seiner Berliner Wohnung verabredet. 1954 in Krefeld geboren, hat er an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bei Claus Böhmler und Sigmar Polke studiert. Seit 1981 stellt er in der Galerie Max Hetzler aus, zuerst in Stuttgart, jetzt in Berlin. Rund zehn Jahre war er Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Wir sitzen an seinem Küchentisch und sprechen über seine „Computerbilder“, die lange vor den heute üblichen Grafikprogrammen als Malerei entstanden, über Jörg Immendorff, der ihn sehr beeinflusst hat, über sein Faible für den Surrealismus, Vincent van Gogh und über die Ausstellung seines Künstlerkollegen, des Bildhauers Hans Josephsohn, die er diesen Herbst im Musée d’Art Moderne de Paris kuratiert hat. Auch wollen wir wissen, wie es ist, Filme zu drehen, in denen Ben Becker oder Udo Kier in seine Rolle schlüpfen. Vor allem aber geht es um den künstlerischen Prozess: um die Frage, wie Albert Oehlen sich in der Malerei Hürden aufbaut und sie dann überwindet.

Was macht die Kunst, Herr Oehlen?

In diesem Herbst habe ich zwei große Ausstellungen. Einmal in der Hamburger Kunsthalle zu meinen Computerbildern, und mehr oder weniger gleichzeitig gibt es in der Galerie Max Hetzler in Berlin eine Ausstellung mit neuen Gemälden von mir. Sie ist deshalb so groß, weil die Galerie so groß ist.

Die Computerbilder, die in Hamburg ausgestellt werden, stammen aus den Neunzigerjahren, sind also historische Arbeiten, auch wenn sie sehr aktuell wirken. Wie sind sie entstanden?

Ich hatte den Wunsch, Computerbilder zu machen, ohne eine visuelle Vorstellung zu haben, was das ist. Ich fand einfach das Wort schön. Es war eine ziemlich absurde Herausforderung für mich, aus diesem Wort etwas zu machen. Das Jahr ist 1990, ich fand die Vorstellung total lustig, dass ich dieses Wort benutze, das so in die Zukunft weist. 1990 war der Computer ja nicht allgegenwärtig, das war schon speziell, und man begab sich schon mit dem Wort in so eine ganz spezielle Aura. Was war Computerkunst? Das gab es ja gar nicht. Woran ich denken musste, waren die Schallplattencovers von elektronischer Musik – ich rede von der Vor-Techno-Musik – aus dem ernsten Bereich, also Morton Subotnick oder vielleicht auch Karlheinz Stockhausen. Da gab es dann hin und wieder Plattencovers, die man sich als computergeneriert vorstellte, was sie vielleicht gar nicht waren, sondern solche Prismendinger oder durch eine Glasscherbe fotografiert, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall fand ich diese Assoziationen dazu, etwas zu machen, was in die Zukunft weist, lustig … mehr lustig als spannend, weil ich ja sowieso nicht wusste, was ich machen würde. Das entspricht meinem Wesen, meiner Vorgehensweise.

Albert Oehlen „Son of Dogshit“ 1997
Albert Oehlen „Son of Dogshit“ 1997. © Albert Oehlen / VG-Bildkunst, Bonn 2023, Foto: Archive Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London

Wo haben Sie damals gelebt?

Zu dieser Zeit saß ich in Los Angeles in einer Wohnung und einem Studio, das ich mir mit Martin Kippenberger geteilt hatte – zeitlich geteilt, also er ein halbes Jahr und ich ein halbes Jahr. Wenn ich an den Zeitungskiosk ging, dann lagen da obskure Magazine herum, die das vorbereiteten, was heute passiert. Virtual Reality und Ähnliches wurde da von Hippies mehr oder weniger vorausgedacht, das war in billig gedruckten Magazinen zu finden. Da wurde das diskutiert, man konnte es kaufen, und das war eine Atmosphäre, die mich irgendwie animiert hat. Ich muss dazu sagen, das Ganze war vollkommen unseriös von meiner Seite, ich habe keine Anstrengungen unternommen, das genau zu verstehen. In dieser Atmosphäre kam ein Freund von mir, ein Linguist, plötzlich mit einem Klapprechner von Texas Instruments an. Es war der erste Computer, der für den Privatgebrauch herausgebracht wurde. Und ich dachte: Ach, das ist ja fein, will ich auch. Und hab mir dieses Gerät gekauft. Ich habe natürlich nix verstanden. In solchen Situationen ist es günstig, wenn Diedrich Diederichsen zufällig in der Nähe ist. Er hat mir dann geholfen, das Ding aufzuklappen und diese Buchstaben-Zahlen-Codes einzugeben, um irgendwelche Aktivitäten auszulösen. Das war nicht wie heute, sondern sehr umständlich und wurde dadurch erschwert, dass die Speicherplatte mit so einem komischen Stecksystem daranhing. Das Ganze war sehr wackelig und unterbrach immer aus irgendwelchen Gründen. Bewegen durfte man es sowieso nicht. Man musste immer wieder alles von vorne anfangen. So habe ich dann eine Grafik erstellt, eigentlich eine reine Doodle-Zeichnung ohne Sinn und Verstand. Das war einfach mal gucken, was passiert. Wir haben also ein bisschen herumgekritzelt, und dann wusste ich: Das ist jetzt die Ausgangsbasis, von der aus ich experimentieren muss oder herausfinden, was ich vorhabe oder was ich machen will. Ab dann lief es in geordneten Bahnen.

Was meinen Sie damit? Wie ging es weiter?

Ich habe mir das Resultat angeschaut. Es war, wenn man es über Briefmarkengröße hinaus vergrößert, sehr pixelig, extrem pixelig. Ich wusste, das ist die Situation, das ist das, was ich mit den Voraussetzungen kriege. Jetzt muss ich dazu Stellung beziehen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Zu sagen: Oh geil, habe ich schöne Pixel, sieht modern nach Computer aus. Oder etwas anderes. Mir war klar, diese Ästhetik als Trumpfkarte zu betrachten, wäre ein schwerer Fehler, und so habe ich mich dann entschieden, dass meine Position die sein muss, das nicht zu mögen. Ich habe diese Zeichnungen ausdrucken lassen, erst auf DIN A4 zum Angucken und dann auf ein Format, was einem Gemälde entspricht, in den Maßen 1,90 Meter oder zwei Meter, da waren die Pixel dann so einen halben Zentimeter groß. Das habe ich mir angeschaut und gesagt: Ja, gut, das ist das, was ich jetzt habe, das ist nicht das, was ich will. Wenn ich das wollen würde, könnte ich ja jetzt 100 Bilder rausschleudern und hätte einfach diese Ästhetik. Ich habe gefolgert, diese Pixel-Treppchen, die will ich nicht, also gut, dann muss der Maler ran und mit dem feinen Pinsel aus diesen Treppchen Kurven machen. Wenn man schon dabei ist, kann man ja dann noch zusätzliche Linien und Kurven ziehen und verdicken, verdünnen. Und wie das so ist, wenn man sich in so eine Problematik hineinbegibt, kommen neue Ideen und Erkenntnisse. Damit hatte ich dann ziemlich Spaß.

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