Albert Oehlen ist einer der wichtigsten Maler unserer Zeit, derzeit sind seine Werke in Hamburg und Berlin zu sehen. Wir sprachen mit ihm über den malerischen Prozess, der „Dreck“ in Schönheit verwandelt
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25.11.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr.234
Nein, das ist bei mir anders. Bei mir wird alles auf dem Bild erarbeitet. Wenn ich Papierarbeiten mache, die damit zu tun haben, dann entstehen die hinterher wie so ein Resümee, aber es wird immer komplett auf der Leinwand erarbeitet. Nach meiner Erfahrung würde eine Skizze immer zu einem banaleren Ergebnis führen, wenn ich sie übertragen würde, als wenn ich das auf der Leinwand erarbeite.
Das ist das Schöne, wenn man ein größeres Atelier hat – wobei meins im Vergleich zu anderen Künstlern klein ist, aber es ist trotzdem ein großes Atelier. Wenn ich vier Bilder da stehen habe, fühle ich mich sehr wohl, weil dann tatsächlich die Farbe trocknen kann. So kann ein Bild in meinen Kopf einsickern. Das ist der wesentliche Teil der Arbeit, so wie ich arbeite: zu verstehen, was da ist, das richtig zu beurteilen und Schlüsse daraus zu ziehen. Das nimmt mehr Platz und mehr Zeit in Anspruch als die reine Pinseltätigkeit. Was da im Kopf gearbeitet werden muss, das ist 95 Prozent der Arbeit.
Ich höre gerne Musik. Wenn ich intensiv arbeite, muss es ein bisschen teppichartiger sein. Dann kann das eine Wagner-Oper oder eine Miles-Davis-CD sein, das ist ganz günstig, 70 Minuten wird ein Stück durchgespielt. Manchmal geht stimmungsmäßig auch eine Minimal-Techno-Platte sehr gut, das klappert und rappelt so ein bisschen, damit kann man sehr gut arbeiten.
Ja, ich gehe gerne in die Gemäldegalerie, aber ich stelle keine Bezüge zu meiner Kunst her, da es die kaum gibt. Das Ganze ist ein bisschen tricky, weil man jetzt über Vorbilder reden würde – was ist der Satz, der dahintersteht? Ich fühle mich verwandt? Oder: Ich möchte so werden wie …? Oder. Ich habe von dem gelernt? Das ist ja alles unklar. Das kann verschiedene Facetten haben, oder man kann jemanden bewundern, mit dem man gar nichts zu tun hat – vielleicht gerade deswegen. Ich kann jemanden bewundern, der komplett andere Kunst macht, auch mit einer fast gegenteiligen Vorgehensweise, sogar mit einem gegenteiligen Anliegen, kann nur sagen: Boah, das zieht mir die Schuhe aus. Den kann ich ja nicht Vorbild nennen.
Jawohl, das kann bei mir nur der Surrealismus sein. Ich bin absolut kein Experte, aber sehr interessiert, nicht an den Fantasiewelten oder den geträumten Szenen, die gemalt werden. Mich interessiert, wenn Dalí eine Traumszene malt, ob er sie sich nicht einfach ausgedacht hat, was mir naheliegender und sympathischer ist. (lacht) Ich betrachte den Surrealismus von der Seite aus, mehr mit Fokus auf die Diskussionen in der Gruppe um Breton und die Methoden, die sie angewendet haben, um Texte zu fabrizieren, die es vorher nicht gegeben hat. Das ist wesentlich interessanter als irgendwelche Frottagen von Max Ernst.
Ich habe nicht über ihn nachgedacht, aber ich hatte immer eine Einladungskarte mit einer Skulptur von Josephsohn auf meinem Schreibtisch stehen, weil ich die einfach komisch fand … Hat mich fasziniert, das Ding. Ich habe gedacht, vielleicht landet das mal in einer Collage oder als Lesezeichen im Buch. Oder es bleibt da stehen. Dann änderte sich das aber schlagartig, als ich in Sankt Gallen seinen Nachlass im Kesselhaus Josephsohn angeschaut habe. Da war ich baff. So ist es geschehen, dass man mich fragte, ob ich die Ausstellung kuratieren würde.
Ich wollte es möglichst frei angehen und hatte natürlich keinen Plan, bevor ich die Sachen im Original gesichtet hatte. Was sich dann herauskristallisiert hat, war tatsächlich ein chronologisches Vorgehen. Das Frühwerk war an einer mehr realistischen Darstellungen des Körpers orientiert, gleichzeitig aber auch experimenteller. Dann kam die Phase mit den Halbfiguren, mittelgroße Frauenporträts mit großen Brüsten, dann wurde es abstrakter, und am Ende kommen diese großen, kartoffelartigen Büsten.