Interview mit Albert Oehlen

Malen, bis es kippt

Albert Oehlen ist einer der wichtigsten Maler unserer Zeit, derzeit sind seine Werke in Hamburg und Berlin zu sehen. Wir sprachen mit ihm über den malerischen Prozess, der „Dreck“ in Schönheit verwandelt

Von Lisa Zeitz
25.11.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr.234

In Josephsohns Skulpturen wirkt der Prozess des Entstehens besonders präsent. Sehen Sie da vielleicht eine Verwandtschaft zu Ihrer Malerei?

Das habe ich nicht so empfunden, weil ich darauf nicht gekommen bin. Ich denke, dass er das so gewollt hat, und ich finde das sehr schön, was er da macht. Was davor war, weiß ich ja nicht. Das Technische nimmt bei seinen Skulpturen einen viel größeren Raum ein, weil die Form positiv oder negativ herausgearbeitet wird. Das ist anders bei meiner Malerei, wo es ein Kippen ist und die Hässlichkeit, die vorher da ist, eine selbst aufgebaute Hürde. Ich bin ganz entschieden nicht in der Lage, ein Bild konstruktiv aufzubauen, das sich in bestimmten Prozentsätzen der Schönheit nähert, die ich am Ende sehen will – das ist überhaupt nicht der Fall. Bei Josephsohn könnte ich mir vorstellen, dass er sich mit jedem Arbeitsschritt dem gewünschten Bild nähert und dass er eine Vorstellung davon hat, wie es aussehen soll. Das ist bei mir anders, weil es dieses Kippen gibt.

Sie haben in jüngerer Zeit angefangen, Filme zu drehen, die sich ihrerseits wiederum mit der Malerei beschäftigen. Zwei Filme über Maler, die Albert Oehlen heißen, einmal gespielt von Ben Becker und einmal gespielt von Udo Kier. Was haben Sie dabei über sich herausgefunden?

Es ist eine Art, sich von außen zu sehen. Auch wenn es ein ziemlicher Quatsch ist, was ich die Leute da machen lasse, ist da doch ein wahrer Kern, weil ich im Studio auch ziemlichen Quatsch mache. Das hat mit dem eben beschriebenen Malprozess zu tun. Der Film mit Ben Becker ist praktisch dokumentarisch, man sieht Schritt für Schritt das Entstehen dieses Bildes. Man sieht Ben Becker diese Handlungen vollführen, wie seine Hand den Pinsel hält und die Farbe aufträgt und dass es ein ziemlicher Unfug ist, den er da die ganze Zeit auf meine Anweisungen hin macht. Mich selbst sieht man nicht, aber ich stehe daneben und gebe diese Anweisungen. Es ist tatsächlich so, wie wenn ich alleine male. Ich sehe, was da passiert und reagiere darauf. Wenn er oben einen Strich anders macht, als ich es ihm gesagt habe, ist das nicht so gravierend, weil ich darauf wieder reagiere. Auch bei mir selber könnte ein Strich oder eine Pinselbewegung anders herauskommen, als ich sie geplant habe. Das geschieht. Bei einem zwei Meter großen Bild ist das Problem, so nah an der Leinwand zu stehen, dass man nicht wirklich sieht, was die aktuelle Aktion mit dem Bild macht. Dafür muss man zurücktreten und sich das angucken, aber während man malt, ist es ein Blindflug.

Sie haben gemalt, ohne zu malen.

Ich habe Ben dirigiert, diese Aktionen zu machen, und sie gegen Ende zu Handlungen zugespitzt. Ich wusste, jetzt fehlt nur noch das Detail, und wenn ich hier dieses Element einbringen lasse, habe ich es unter Kontrolle. Mit zugespitzt meine ich die zwei letzten Befehle, die so einfach waren, dass er die so ausführen würde, wie ich sie wollte. Da konnte nichts mehr schiefgehen. Man hat die Kamera gestoppt und ich bin hingegangen und habe es ihm genau gezeigt: Du musst jetzt genau das machen. Ich hatte die volle Kontrolle über das Gemälde. Aus meiner Perspektive kann ich sagen, ich habe das Bild gemalt, und nur ich, weil ich bis zur letzten Handlung bestimmt habe, was gemacht wird. Das kann ja kein anderer. Das ist interessant für mich, weil ich mich auf diese Weise selbst von außen sehen konnte.

Filmstill aus DER MALER (2022) von Albert Oehlen
Filmstill aus DER MALER (2022) von Albert Oehlen. © Albert Oehlen/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Udo Kier haben Sie auch so angewiesen?

Bei Udo war es etwas anders. Da wollte ich das machen, aber Udo – der viel näher an der Kunst dran ist als andere Schauspieler, der mit Hockney, Polke und Buthe befreundet war und mit Warhol gut bekannt – hat aus irgendeinem Grund nicht malen wollen. Das war eine völlige Überraschung für mich, weil ich davon ausgegangen bin, dass jeder Schauspieler malen möchte. Jeder Mensch eigentlich. (lacht) Udo wollte ungern malen, vielleicht aus Respekt, ich weiß es nicht. Da mussten wir anders arbeiten. Er hat ein bisschen gemalt, und dann bin ich mit der Hand rein. Das Bild spielt auch eine andere Rolle als in dem ersten Film mit Ben.

Wie kam es, dass Sie, ebenfalls mit Ben Becker, einen Film über van Gogh gedreht haben?

Van Gogh war so ein bisschen Spinner… Julian Schnabel, hat ja diesen Van-Gogh-Film gemacht. Ich mag Schnabel und seine Filme sehr, und irgendwie habe ich gedacht: Wenn der einen macht, mach ich auch einen. Ich fand es immer schön, dort, wo es schon was gibt, noch reinzuspringen. Das war der erste impulsive Gedanke. Und dann? Ich muss schon sagen, van Gogh hat mir immer etwas bedeutet. Weil ich ihn seit Kindheit kenne, er ist der einzige Maler, der immer da war – oder noch Picasso. Van Gogh war immer präsent, seit ich fünf Jahre alt bin, immer bewundert, immer noch schön anzuschauen. Und gleichzeitig die super Kulmination von Klischees und Missverständnissen, einfach ein hochinteressanter Komplex. Dieser Name zündet sofort bei allen Leuten.

Wenn Sie eine Zeitreise machen könnten, wohin und in welche Zeit würden Sie reisen?

Es gibt etliche Epochen, die mich brennend interessieren, in die man vielleicht gar nicht zurück möchte. In die, die mich am meisten beschäftigt hat, im letzten Jahrhundert, möchte ich sicher nicht zurück.

Das Interview ist auch als Podcast hier nachzuhören

Service

AUSSTELLUNG

„Albert Oehlen. Computerbilder“

in der Hamburger Kunsthalle

bis 2. März

hamburger-kunsthalle.de

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