Per Du mit Duchamp

Ist Marcel Duchamp noch wichtig?

Wie der Erfinder des Readymades auch ein Jahrhundert später noch die Kunst bewegt, erforscht Thomas Girst in seiner Kolumne. Nun hat er mit den berühmtesten Kunstschaffenden, Museumsdirektorinnen und Kuratoren der Gegenwart gesprochen und sie gefragt, ob und warum Marcel Duchamp heute noch relevant sei. Ihre Antworten sind ein „Who-is-Who“ der internationalen Kunstwelt: ein Alphabet von Saâdane Afif über Naomi Beckwith, Cao Fei, Jeff Koons, Koyo Kouoh und Ai Weiwei bis zu Jessica Zhang

Von Thomas Girst
28.02.2025

 

„Marcel Duchamp ist der wichtigste Künstler der Kunstgeschichte, und seine Auswirkung auf die Kunstwelt ist noch immer von großer Bedeutung, denn die von ihm neu aufgetanen Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks als auch von Interpretation bleiben eine treibende Kraft in der zeitgenössischen Kunst. Als Künstler bin ich selbst on seiner Praxis sehr beeinflusst.“

Subodh Gupta, Künstler

 

„Duchamp war nicht nur der Erfinder des Objekts als Readymade in der zeitgenössischen Kunst. Seine Beschäftigung mit der Idee des Zufalls, die sich durch sein gesamtes Werk zieht, ist bedeutsam. Sie ist Zeuge dessen, was Wissenschaft durch Beobachtung erkannt hat, insofern der Zufall eine zentrale Rolle in der Entwicklung unseres Universums spielt. Diese Ideen sind wichtig, um unseren eigenen Platz in der Welt zu verstehen.“

Shirazeh Housiary, Künstlerin

Shirazeh Houshiary portrait. ©Anne Purkiss 2023
Shirazeh Houshiary. © Anne Purkiss 2023

 

„Duchamp ist heute genauso relevant wie er es zu seiner Zeit war. Duchamps Leben steht für einen tiefen Glauben an das, was wir und die Kunst werden können. Wir sind durch unsere Gefühle und unser Bewusstsein dazu befähigt, unsere wesentlichen Wünsche erfahrbar zu machen und zu steigern und zu intensivieren.“

Jeff Koons, Künstler

 

„Marcel Duchamp ist der Kunstmeteor, der die einzigartige Sphäre der Zeitlosigkeit erreicht hat, die Form und Raum übersteigt. Als originärer Erneuerer wird er immer von Bedeutung sein.“

Koyo Kouoh, Geschäftsführende Direktorin und Chefkuratorin, Zeitz MoCAA, Kapstadt, Künstlerische Leiterin der Biennale Venedig 2026

Koyo Kouoh_0635. © Lard Buurman
Koyo Kouoh. © Lard Buurman

 

„Marcel Duchamp ist in einer Zeit der Klimakrise, des ungebremsten Kapitalismus und der Kriegsökonomie nach wie vor von großer Bedeutung. Sein in einer Glasampulle abgefüllter Atem [Air de Paris, 1919], der von Paris nach New York getragen wurde, wird zu einer eindringlichen Metapher – ein ‚Flaschengeist‘ unserer Zeit, der sowohl Präsenz als auch Abwesenheit verkörpert. In diesem Warten auf Godot-Moment erinnert uns Duchamp daran, dass die Kunst, wie das Leben, durch Ideen, Subversion und den Optimismus des Unsichtbaren gedeiht – immer zu Überraschungen bereit.“

Bose Krishnamachari, Künstler und Kurator, Gründungspräsident der Kochi Muziris Biennale

 

„Marcel Duchamp ist von Bedeutung, weil er wegweisend in der vierdimensionalen Kunst war. (Diese Kunstform hat die Zeit als ihr Medium und erfordert eine mentale Sichtweise wie beim Schach: Es geht nicht um die Schönheit der Figuren selbst, sondern darum, was sie in der Zeit sein können, wie das Gehirn sie sieht.) Vierdimensionale Kunst gibt es schon seit Jahrhunderten, sie ist oft erotisch und geheimnisvoll aufgeladen. Duchamp war zu seiner Zeit nicht der einzige vierdimensionale Künstler, aber um seine Überlegenheit gegenüber der Geschichte zu demonstrieren, gab er posthum die beiden Schlüssel preis, die zur geistigen Pracht seiner Kunst führen. Die wir noch nicht genossen haben. Deshalb: THE DUCHAMP CODE ist essenziell. Auch heute noch.”

Gorik Lindemans, Künstler

 

„Marcel Duchamp ist heute mehr denn je von Bedeutung. Er war das beste Beispiel für einen Künstler, der unabhängig dachte, der sich nicht auf die Ideen seiner Vorgänger oder seiner Kollegen stützte. Wir alle müssen als unabhängige Wesen über den Tellerrand hinausschauen und unsere eigenen Lösungen für Probleme entwickeln, die uns betreffen. Nur so können wir uns von der Unterdrückung und Tyrannei befreien, die unsere Freiheit des Denkens und Handelns einschränkt.“

Francis M. Naumann, Kurator und Kunsthistoriker

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